Der Nürburgring liegt im Ruhrgebiet

Mobilität | 30. Juni 2021: Auf der ‚TÜV NORD-Schleife‘ in Essen werden komplette Fahrwerkssysteme geprüft

Das TÜV NORD-Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) betreibt im Technologiepark  Essen einen hochmodernen ‚Fahrdynamischen Halbachsenprüfstand‘, mit dem Prüfungen und Begutachtungen nicht nur für Räder und Bremskomponenten, sondern auch für komplette Fahrwerksysteme durchgeführt werden können. Die Prüfungen können realitätsnah zum Beispiel die Fahrt über die Nordschleife des Nürburgrings darstellen – nicht in der Vulkaneifel, sondern mitten im Ruhrgebiet.

Brünnchen, Kesselchen, Adenauer Forst oder Döttinger Höhe – Motorsportfans klingeln bei diesen Namen die Ohren und Fahrzeugentwickler sind voll neugieriger Ehrfurcht. Denn all das sind Abschnitte der legendären Nürburgring-Nordschleife, auf denen nicht nur Renngeschichte geschrieben wurde, sondern der 20,8 Kilometer lange Kurs durch die Vulkan-Eifel gilt mit seinen 73 Kurven zugleich als härteste Teststrecke der Welt und gehört deshalb zum Standard-Repertoire aller Fahrzeughersteller und Zulieferer.

Doch die Eifel ist ziemlich abgelegen und bekannt für ihre Wetterkapriolen. Außerdem drängt die gesamte PS-Welt auf die Strecke, die nebenbei auch noch den Rennbetrieb und die Touristenfahrten aufrechterhält. Termine für die Tester sind knapp – und teuer.

Da lieg es nahe, die Prüfungen auf den TÜV NORD-Campus in Essen zu verlegen. Dort steht der Fahrdynamische Halbachsenprüfstand von TÜV NORD als einer von nur zwei derartigen Anlagen in ganz Europa und der einzige eines unabhängigen Betreibers.

Dieser Simulator kann die Testfahrten auf der Nordschleife für Komponenten-Versuche weitgehend ersetzen.

„Einmal mit einem entsprechenden Datensatz programmiert, reproduziert er sämtliche Belastungen auf Reifen, Räder, Radschrauben, Bremsen, Radlager und –träger, Antriebswellen und Querlenker und macht Hersteller und Zulieferer damit unabhängig von freien Terminen für den so genannten Industriepool und den klimatischen Eigenheiten in der Eifel,“ sagt Leif-Erik Schulte, der Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik und Mobilität hier vor Ort.

Den Antrieb der Trommel, die mit einem Durchmesser von zwei Metern die Fahrbahn simuliert, übernimmt ein E-Motor mit 550 kW, der ein Moment von maximal 12 900 Nm erzeugt. Und weil der Prüfstand zwischen angetriebenen und mitlaufenden Achsen unterscheidet, gibt es einen zweiten Motor mit 350 kW und maximal 4 500 Nm, der die Aufgabe des Fahrzeugantriebs übernimmt und deshalb auf die Halbachse wirkt. So können auf dem Prüfstand Geschwindigkeiten von maximal 300 km/h simuliert werden. Zudem bietet die Anlage ausreichend Varianz bei Radlast, Beschleunigung, Schräglauf und Sturzwinkel.

Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen ist der Prüfstand von TÜV NORD dabei hochgradig flexibel und nicht nur auf einzelne Komponenten beschränkt. Die Experten des Auftraggebers können dort auch sämtliche Komponenten des Fahrwerks in nahezu beliebiger Konfiguration und Kombination auf die Probe stellen – vom einzelnen Bauteil bis hin zum gesamten Fahrwerksverbund diesseits der Karosserie-Montage-Punkte. Dafür bietet die 45 t schwere Anlage eine extrem flexible Montageplatte.

Zur maximalen Flexibilität der Anlage zählt neben dem Aufbau und dem Antrieb auch die Wahl der Strecke: Zwar gilt die Nordschleife des Nürburgrings den meisten Industriepartnern von TÜV NORD als Urmeter für ihre Entwicklungen, weil keine andere Teststrecke so variantenreich und so fordernd ist. Doch ist der Fahrdynamische Halbachsenprüfstand nicht auf die Runde durch die Eifel limitiert: Egal ob Rennstrecke, Landstraße, Buckelpiste – mit dem entsprechenden Datensatz simuliert er nahezu jede erdenkliche Testroute der Welt.

Genutzt wird der Prüfstand von Herstellern und Zulieferern gleichermaßen – und deckt ein weites Aufgaben-Spektrum ab: Bei Simulation mit teilweise mehr als 7 500 virtuellen Kilometern auf der Nordschleife ermöglicht er Material- und Ermüdungsprüfungen mit und ohne Temperaturabhängigkeit, Abriebsmessungen an Bremsen und Reifen, die Abstimmung einzelner Komponenten, die Bestätigung für die Festigkeit einzelner Komponenten und Verbindungen sowie die Analyse der Geräuschentwicklung.

Und das alles mitten im Ruhrgebiet. Ein Teil der Zukunft im Revier.

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