Keine Knautschzone, kein Dach über dem Kopf: Motorradfahren kann ziemlich ungemütlich werden. Und doch sprechen Biker von einem »unbeschreiblichen Gefühl«, das sie auf dem Motorrad befällt. Erkenntnisse aus der Hirnforschung können diese besondere Erfahrung erklären.
Mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Fahrerlaubnis für ein ‚Kraftrad‘ wie Motorrad, Moped und Roller. Die Zahl der zugelassenen Krafträder steigt seit Jahren. In den offiziellen Statistiken werden Motorräder zwar nicht gesondert erfasst. Aber Fans von Harley Davidson, Kawasaki und Co fühlen sich als Mitglieder einer besonderen Gemeinschaft.
Biker grüßen einander auf der Straße, auch wenn sie sich nicht kennen. Das Motorrad ist für sie eine Herzensangelegenheit, die sie miteinander verbindet. In einer Studie beschrieben die befragten Personen die Beziehung zu ihrer Harley wie die zum besten Freund oder Partner fürs Leben, berichtet die Marken- und Konsumforscherin Susan Fournier von der Boston University.
Die Freude am Fahren stärkt die emotionale Bindung. Zu den Top-Spaßfaktoren zählen Motorradfans das Beschleunigen und Kurvenfahren. Doch die Leidenschaft darauf zu reduzieren, würde zu kurz greifen. Es geht um ‚ein unbeschreibliches Gefühl von Freiheit‘, so schildern es die Biker. Sie fühlen sich eins mit ihrem Bike.
Woran liegt das? Der promovierte Psychologe Dennis Dal Mas von TÜV NORD verweist auf einen Klassiker der Motorradliteratur: ‚Die obere Hälfte des Motorrads‘ von Bernt Spiegel. „Der Titel bringt das Körpergefühl auf den Punkt“, sagt Dal Mas. „Die Grenzen zwischen Selbst und Maschine verschwimmen.“ Dahinter könnte ein erstaunliches Phänomen stecken, das die Hirnforschung wiederholt beobachtet hat: Beim Gebrauch von Werkzeugen erweitern wir vorübergehend die Dimensionen dessen, was wir als unseren Körper empfinden.
Um nach etwas greifen und sich im Raum bewegen zu können, verarbeitet das Gehirn permanent Informationen: Zum einen über die Position und Bewegung des eigenen Körpers, genannt ‚Körperschema‘. Zum anderen über den Nahraum, in dem wir beispielsweise nach etwas greifen können, in der Fachsprache ‚peripersonaler Raum‘. Beide bildet das Gehirn auf einer Art mentalen Landkarte ab. Der Neurowissenschaftler Alessandro Farnè von der Universität Lyon erforscht diese neuronalen Repräsentationen seit mehr als 20 Jahren. Und seine Studien zeigen:Ein Werkzeug in der Hand erweitert nicht nur, was wir als Nahraum empfinden, sondern auch das Körperschema.
Das Gehirn kann demnach ein Werkzeug vorübergehend in das Körperschema integrieren, also als Teil des eigenen Körpers wahrnehmen. Ein Hammer in der Hand etwa verlängert den Arm – genauer gesagt: das innere Bild seiner Länge, Form und Position. In einem Experiment beobachteten Farnè und sein Team: Wenn Versuchspersonen mit einem Werkzeug nach einem Objekt griffen, fiel es ihnen danach schwerer, eine Stelle am Arm zu lokalisieren, an der sie berührt wurden.
Für das Gehirn wird das Werkzeug kurzzeitig zu einem weiteren sensorischen Organ, stellte Farnè weiter fest. Wie Messungen seiner Forschungsgruppe zeigten, konnte das Gehirn die Berührung eines in der Hand gehaltenen Werkzeugs mit Hilfe von Vibrationsmustern lokalisieren. Die Hirnregionen, die daran beteiligt waren, sind normalerweise für die Wahrnehmung des eigenen Körpers zuständig.
Biker sprechen von einem besonderen Gefühl, das sie schon beim Aufsteigen befällt. „Kein Wunder“, sagt Dennis Dal Mas von TÜV NORD. „Lenker ergreifen, Kupplung ziehen, Gang einlegen: Schon empfinden sie die Maschine als einen Teil ihrer selbst.“
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