In der Heimat gehen wir die gewohnten Wege und orientieren uns am Straßenbild: Zum Supermarkt geht’s die Straße runter, dann an der Apotheke rechts. Doch in fremder Umgebung greifen Menschen seit Jahrhunderten auf Stadtpläne und Landkarten zurück.
Um eine Landkarte lesen zu können, braucht es räumliches Vorstellungsvermögen. „Man muss die Symbole auf der Karte und ihr Verhältnis zueinander verstehen und auf die reale Umwelt projizieren“, erklärt Klaus Peter Kalendruschat vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Dortmund. Dazu zählt unter anderem das ‚räumliche Skalieren‘, das heißt: die Karte in einen anderen Maßstab zu übertragen, zum Beispiel um Entfernungen einzuschätzen.
„Das verbreitetste Maß für räumliche Intelligenz ist aber die mentale Rotation, also die Fähigkeit,ein Objekt in Gedanken zu drehen“, sagt der Psychologe Klaus Peter Kalendruschat. Intelligenztests messen die Fähigkeit zur mentalen Rotation, indem sie geometrische Figuren aus verschiedenen Blickwinkeln abbilden. Zwei Figuren sind identisch – welche von ihnen, kann die Testperson herausfinden, indem sie die Figuren »mental rotiert«.
Wer in diesem Test gut abschneidet, hat häufig auch ein gutes Zahlenverständnis, denn räumliches und mathematisches Denken hängen zusammen. In einem Experiment absolvierten Studierende ein wöchentliches Training in mentaler Rotation, nachdem sie zu Beginn ihres Ingenieursstudiums im Rotations-Test durchgefallen waren. Danach hatte sich ihre Leistung in Mathe stärker verbessert als bei einer Kontrollgruppe ohne Training. Außerdem holten die weiblichen Studierenden auf: Der durchschnittliche Leistungsvorsprung, den die Männer im Rotations-Test hatten, halbierte sich.
Mentale Rotation fällt Männern in der Regel leichter als Frauen, wie Studien mit Versuchspersonen aus mehr als 50 Nationen belegen. Schon im Alter von vier Jahren haben Jungen ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen. Für die Mädchen ist das auch in Mathe von Nachteil. Eine Studie mit Erstklässlerinnen in Boston und Umgebung ergab: Je schlechter ihre räumlichen Fähigkeiten, desto eher griffen sie beim Rechnen auf simple Strategien wie Zählen zurück, anstelle von höheren Rechenstrategien, wie sie von Jungen in diesem Alter bereits öfter genutzt werden.
Die Geschlechter neigen auch beim Navigieren zu unterschiedlichen Strategien, so das Ergebnis eines Experiments an der Georgia State University in den USA. Frauen orientieren sich demnach eher an konkreten Landmarken als Männer. Auf bekannten Wegen klappt das zwar gut, aber nicht, wenn es darum geht, von einem beliebigen Ausgangspunkt zum Ziel zu kommen – dazu braucht es eine mentale Landkarte.
„Eine solche Karte im Kopf zu entwickeln, fällt mit dem Alter zunehmend schwer“, berichtet der Psychologe Klaus Peter Kalendruschat von TÜV NORD. Ein Forschungsteam von der University of California stellte kürzlich fest, dass die Fähigkeit, neues räumliches Wissen zu erwerben, zwischen Mitte 40 und 60 Jahren sinkt. „Ältere Menschen greifen deshalb schon im mittleren Alter mehr und mehr auf ihre gewohnten Wege zurück.“
Wer sich Zeit lässt, könnte den Nachteil des Alters jedoch ausgleichen, wie Wettkämpfe im Orientierungslauf vermuten lassen. Bei diesem Sport geht es darum, mit Hilfe von Landkarte und Kompass ein Gelände zu durchqueren. Anfang des Jahres meldeten Forschende von der Universität Bern: Die besten unter den Läuferinnen und Läufern in der Altersgruppe ab 35 Jahre sind im Schnitt schon rund 50 Jahre alt. Vermutlich, so ein Erklärungsversuch, machen sie beim Kartenlesen weniger Fehler, weil sie langsamer laufen.
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