Social Audits: „Erfahrung ist eine wichtige Komponente“

Dimitar Stoyanov ist Auditor bei TÜV NORD. Sein Schwerpunkt: Soziale Standards. Für TÜV NORD hat er über 100 Audits durchgeführt. In Bulgarien, aber auch in Serbien, Nord-Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Usbekistan. Er gibt einen Einblick in seine Arbeit.

Dimitar, welches sind Ihre Kunden und wie lange dauert ein Social Audit?

Unsere Kunden sind Lieferanten großer Ketten. Hersteller von Kleidung, Bauteilen oder Komponenten. Sie kommen im Regelfall aus den so genannten „Risk Countries“, also Ländern, denen von der Weltbank unter anderem schlechtere Arbeitsbedingungen zugesprochen werden. Um ihre Produkte an große Ketten liefern zu können, müssen sie nachweisen, dass ihre Arbeiterinnen und Arbeitern gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Sie müssen sich einem Social Audit stellen. Wir reisen dann in den entsprechenden Betrieb und auditieren dort. Je nach Größe des Betriebs dauert dieses Audit ein bis drei Tage.

Was sind das für Standards, nach denen geprüft werden?

Wir sehen, dass immer mehr Standards um eine Nachhaltigkeitskomponente erweitert werden. Das ist gut gedacht, greift aus meiner Sicht aber nicht weit genug. Meiner Meinung nach ist es sinnvoller, auf einen reinen Nachhaltigkeitsstandard zu setzen. Die etablierten Standards wie SMETA und BSCI sind seit zehn, fünfzehn Jahren am Markt und fokussieren sich auf das Thema Nachhaltigkeit und gehen in der Folge viel mehr in Tiefe. Hinzu kommt, dass die Auditorinnen und Auditoren, die diese Standards seit Jahren prüfen, über großes Know-how verfügen und Erfahrung ist gerade im Bereich Social Audits enorm wichtig, weil man mehr als bei anderen Standards viel zwischen den Zeilen lesen muss.

Was meinen Sie damit?

Jedes Audit ist ein Zusammenspiel aus Dokumenten, Interviews und Bildern. Diese muss man im Kontext sehen und interpretieren können.

Wie läuft denn so ein Audit ab?

Der erste wichtige Schritt ist die Führung über das Gelände und durch die Fabrikhallen. Wir dokumentieren, ausgestattet mit einem Fotoapparat, den Zustand von Arbeitsstätten, Sozialräumen wie Kantine und Toiletten und Außengelände. Gibt es Unterkünfte, in denen die Arbeiter wohnen, dann müssen auch diese begutachtet werden. Das Material stellen wir im Nachgang dem Auftraggeber zur Verfügung, da dieser in den meisten Fällen seine Lieferanten nicht besucht. So kann er sich ein Bild von den Gegebenheiten vor Ort machen.

Danach folgen rund 20 Interviews mit Angestellten, die zufällig von mir oder meinen Kollegen ausgewählt werden. Alle Gespräche finden vertraulich statt. Wir gleichen die Aussagen der Arbeiterinnen und Arbeiter mit den Informationen aus den Dokumenten ab und erkennen daran, ob es Unstimmigkeiten gibt. Überstunden sind häufig ein Thema, aber auch das Einhalten von Pausen und die regelmäßige Bezahlung der Löhne. Bekommen die Beschäftigten das Geld bar oder auf ein Konto? Liegen alle Arbeitsverträge vor? Arbeitszeit und Gehälter sind oft ein Problem, zumal es gerade in den östlichen Ländern meist keine Gewerkschaften gibt.

Wie stellen Sie sicher, dass Prozesse für die Visite des Auditors nicht einfach geschönt werden?

Vieles, was schiefläuft, lässt sich nicht vertuschen: Ich habe eine Idee, welchem Output welcher Arbeitseinsatz pro Stunde pro Arbeiter gegenübersteht. Und ich sehe, ob die Maschinen am Wochenende im Betrieb waren, weil heutzutage fast alle Maschinen an Computer angeschlossen sind und man sie gut auslesen kann. Kommt mir abseits dessen etwas komisch vor, frage ich die Arbeiter, warum ihre Kleidung nagelneu ist und wo ihre alte Arbeitskleidung geblieben ist, oder ich spreche mit dem Busfahrer, der die Fabrikarbeiter nach Feierabend abholt, wann er für gewöhnlich seine Tour macht.

Was geschieht, wenn Sie Abweichungen feststellen?

Das ist unterschiedlich. Es gibt immer Situationen, die Ausnahmen rechtfertigen. Kommt es zu Überstunden, muss man gucken, wie die Geschäftsführung mit diesen umgeht. Wie oft kommen sie vor, wie werden sie bezahlt. Dann kann man zum Beispiel zu dem Ergebnis kommen, dass die Überstunden im Rahmen gesetzlicher Vorgaben liegen, aber nicht angemessen bezahlt werden. Oder aber, dass es an Organisation oder Arbeitskräften fehlt und die Arbeiterinnen und Arbeiter weit mehr als erlaubt arbeiten.

Wir halten das in unserem Reporting fest und legen dieses unserem Auftraggeber vor. Dieser sucht dann das Gespräch mit dem Lieferanten und legt fest, was zu tun ist und bis wann welche Punkte verbessert werden müssen. Wie strikt dieser Plan ist, liegt im Ermessen des Auftraggebers. Je nachdem, wie schwerwiegend die Abweichungen sind, wird ein oder drei Jahre später erneut auditiert.

Sie sind also kein besonders gern gesehener Gast…

Ach, das würde ich so nicht sagen. Sicherlich lässt sich niemand gerne über die Schulter schauen, aber die Produktionsbetriebe lernen gezwungenermaßen, wie man einen Betrieb unter sozialen Bedingungen am besten führt. Das wirkt sich am Ende positiv aus, weil die Zufriedenheit unter den Arbeiterinnen und Arbeitern steigt und auch die Qualität der Produkte besser wird, wenn die Angestellten nach dem Wochenende ausreichend erholt an die Arbeit zurückkehren. Und schlussendlich ist ein sozial gut aufgestellter Betrieb auch im Kampf um die besten Kräfte im Vorteil, weil gute Arbeitsbedingungen gute Arbeitskräfte anziehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über die TÜV NORD GROUP

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