Aufgrund der steigenden Anzahl dezentraler Erzeuger wurden Standards für ein einheitliches Einspeisemanagement entwickelt, wie zum Beispiel die BDEW Mittelspannungsrichtlinie. Um eine gleichbleibend hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten, werden an Betreiber von BHKW-Einheiten und -Anlagen konkrete Anforderungen gestellt: Ab 2015 werden nur noch die Anlagen an das Mittelspannungsnetz angeschlossen, die der vollständigen dynamischen Netzstützung genügen. Dies muss per Zertifikat nachgewiesen werden. Michael Fuchs ist Fachleiter Netzanschlusszertifizierung bei TÜV NORD. Er hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Hersteller von Erzeugungseinheiten und -anlagen auf ihrem Weg zur Zertifizierung begleitet.
Herr Fuchs, wie sieht die Situation zurzeit aus, wie viele der betroffenen Unternehmen haben bereits gehandelt?
Nach unserer Schätzung haben sich bisher nur wenige Hersteller von BHKW auf die Änderungen eingestellt und ihre Anlagen bzw. Einheiten zertifizieren lassen. Andere schieben das Thema noch vor sich her, was aus meiner Sicht ein Wagnis ist, da die Vorlaufzeit für die Messung und die Zertifizierung zurzeit bei ungefähr einem halben Jahr liegt.
Wer jetzt nicht loslegt, hat das Nachsehen. Welche Anlagen müssen zertifiziert werden?
Bis Dezember 2013 hat es ausgereicht, dem Netzbetreiber Daten zur Erzeugungsanlage sowie die Inbetriebsetzungsprotokolle zu übermitteln. Seit 2014 müssen darüber hinaus auch Einheitenzertifikate sowie ein Anlagenzertifikat inklusive Konformitätserklärung vorgelegt werden, falls das Anlagenzertifikat noch nicht vorhanden ist. Ab kommendem Januar werden dann nur noch zertifizierte Erzeugungseinheiten und -anlagen an das Mittelspannungsnetz angeschlossen.
Warum wird mit dieser Härte vorgegangen, warum diese Ausschließlichkeit ab 2015?
Der Anteil der Energie, die dezentral erzeugt wird, steigt kontinuierlich an. Das ist gut und gewollt. Es bedeutet aber auch, dass die Netzbetreiber sich auf die Zuverlässigkeit der dezentral einspeisenden Anlagen verlassen müssen. Frequenz und Spannung ändern sich im Netz, die Anlage muss damit umgehen können. In der Vergangenheit war es so, dass sich viele Anlagen zu früh abgeschaltet haben, dann war die Einspeisung ins Netz zu gering, was zu Handlungsbedarf bei der Leistungs-Frequenzregelung führte.
Die Richtlinie soll im Wesentlichen dafür sorgen, dass Spannung und Frequenz im Netz in den erlaubten Toleranzen gehalten werden können. Um als übergeordnetes Ziel, die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit, zu gewährleisten. Um das nachzuweisen, müssen die relevanten Werte vermessen und das regelungstechnische Verhalten nachgewisen werden.
Dafür sind sowohl Einheiten- als auch Anlagenzertifizierungen nötig. Wie läuft so eine Zertifizierung konkret ab? Welche Schritte sind zu erfüllen?
Zunächst einmal müssen die Erzeugungseinheiten bzw. die Komponenten zertifiziert werden. Es werden dabei die maximale Leistung, die statische und dynamische Netzstützung, die Beeinflussung des Netzes und die Zu- und Abschaltzeiten und -werte in Form von Messungen ermittelt und anschließend bewertet. Im zweiten Schritt wird dann die Erzeugungsanlage zertifiziert. Dafür müssen alle Anforderungen am Netzverknüpfungspunkt erfüllt sein. Dazu wird zunächst die Dimensionierung der Anlage berechnet. Das geschieht auf Basis von Anlagendaten mit Hilfe von Netzberechnungsprogrammen. Anschließend erfolgt die Simulation des Anlagenverhaltens, also statisches und dynamisches Verhalten und Lastfluss. Abschließend werden alle Ergebnisse ausgewertet und von uns in einem Prüfbericht festgehalten. Wir stellen ein Planungszertifikat mit einer Gültigkeit von einem halben Jahr aus. Währenddessen wird die Konformitätserklärung erarbeitet. Dabei werden die eingereichten Planungsunterlagen mit der tatsächlichen Anlage in Form einer Schutzprüfung und einer Begehung der Anlage verglichen. Wurden alle Schritte durchlaufen, erhält der Anlagenbetreiber das Zertifikat „Geprüfte Netzkonformität“ und die Konformitätserklärung, welche er bei seinem Netzbetreiber vorlegen kann.
Welche Erfahrungen haben Ihre Kunden gemacht? Mit welchen Problemen sehen sie sich konfrontiert?
Ich beobachte immer wieder, dass es Missverständnisse bei der Auslegung der Normen gibt. Nicht immer sind die Texte selbsterklärend und eindeutig. Da müssen wir oft nachjustieren. Darüber hinaus unterschätzen viele die Arbeit, die auf dem Weg zum Zertifikat geleistet werden muss. Daten, Versuchsaufbauten und die Kommunikation, die intern, aber auch in Abstimmung mit dem Prüferingenieur zu leisten ist, das kostet einige Manntage.
Auch auf unseren TÜV NORD-Foren zur „Geprüften Netzkonformität“ hören wir immer wieder Kritik. Die häufige Novellierung der technischen Richtlinien sorgt für hohe Kosten. Hier wünschen sich die Anlagenbauer mehr Planungssicherheit. TÜV NORD arbeitet in zahlreichen Gremien mit und wir werden uns dafür einsetzen, dass hier etwas Beruhigung eintritt.
Vielen Dank.
Über die TÜV NORD GROUP
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