Wann Großraumbüros schaden – und wann nicht

27. Februar 2024 | People & Empowerment: Großraumbüros sind zurecht unbeliebt: Konzentration, Kommunikation, Gesundheit – alles leidet. Das muss aber nicht so sein.

Ein Kollege telefoniert, zwei weitere besprechen ein neues Projekt – und alle übrigen hören unfreiwillig zu. Nur wenigen Menschen gelingt es unter solchen Bedingungen, konzentriert zu arbeiten. Störende Gespräche sind ein typisches Problem bei der Arbeit im Großraumbüro, berichtet Katrin Müller vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Düsseldorf.

In Deutschland arbeiten knapp 15 Millionen Menschen in Büros, ergab 2023 eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Industrieverbands Büro und Arbeitswelt. Bis vor kurzem waren Großraumbüros noch die Ausnahme: Vor der Corona-Pandemie saßen nur rund 15 Prozent der Büroangestellten mindestens zu sechst in einem Raum. Doch nach der Pandemie etablierte sich das »hybride« Arbeiten: teils im Büro, teils im Homeoffice. Viele Unternehmen verkleinerten daraufhin ihre Büroflächen und wechselten in offene Räume ohne feste Wände.

Wann es sich dabei um ein Großraumbüro handelt, ist nicht einheitlich definiert, sagt Katrin Müller von TÜV NORD. Die Wissenschaft zieht die Grenze mal bei sechs, mal bei zehn oder sogar 16 Personen. Aber egal, welche Definition man zugrunde legt: „Das Urteil über Großraumbüros fällt recht einheitlich aus – und zwar negativ“, erzählt die promovierte Psychologin.

Großraumbüros stehen in der Kritik

Schon 1970 berichtete das »Journal of the American Institute of Architects« aus einer Umfrage unter 18 US-Unternehmen, dass sich nur wenige Büroangestellte einen offenen Raum ohne Privatsphäre wünschten. Heute weiß man aus zahlreichen Studien: Großraumbüros sind nicht nur unpopulär. Konzentration, Leistung, Kommunikation, Stimmung, Zufriedenheit, Gesundheit: Alles leidet darunter. Der »Harvard Business Manager« schrieb Ende 2023: „Das Großraumbüro ist die schlechteste aller Bürowelten.“

Besonders gilt das für Beschäftigte, die vor allem fürs Denken bezahlt werden, wie eine deutsche Übersichtsstudie 2023 belegte. Darin werteten Marcel Hülsbeck von der Hochschule München und Andrea Gerlitz von der Universität Witten/Herdecke mehr als 400 Untersuchungen zu Büroarbeit in Unternehmen, Organisationen und öffentlichen Verwaltungen aus. Ergebnis: Die Chefetagen glaubten zwar, dass offene Büros die Produktivität und Zufriedenheit der Belegschaft steigern, doch das Gegenteil sei der Fall.

Eine Schweizer Studie hat die Nachteile detailliert dokumentiert. Auskunft gaben mehr als 1200 Beschäftigte. Auch hier zeigte sich: Je mehr Personen in einem Büro saßen, desto unzufriedener waren sie mit den Arbeitsbedingungen. Sie fühlten sich häufiger durch Gespräche anderer bei der Arbeit gestört und klagten vermehrt über Stress und über körperliche Beschwerden wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen.

Die Folgen für die Gesundheit dokumentierte auch eine Umfrage in Dänemark untermehr als 2400 Büroangestellten. Sie zählten 62 Prozent mehr Krankheitstage in Großraumbüros ab sieben Personen, verglichen mit Einzelbüros. Die Forschenden konnten außerdem statistisch ausschließen, dass der Effekt auf andere Unterschiede zurückging, etwa Alter, Geschlecht, Übergewicht oder Alkoholkonsum.

Konzentriertes Arbeiten vs. menschliche Interaktion

Zu den Stressfaktoren offener Räume zählt auch die fehlende Privatheit. Das hat einen paradoxen Effekt, wie Forschervon der Harvard Business School in den USA 2018 beobachteten: Großraumbüros hemmen die Kommunikation. Als Angestellte aus kleinen Büros in Großraumbüros umzogen, ging die Zahl der persönlichen Gespräche um rund 70 Prozent zurück – stattdessen verschickten sie bis zu 50 Prozent mehr E-Mails und andere elektronische Nachrichten. Wie sie erklärten, wollten sie vermeiden, dass andere mithören oder bei der Arbeit gestört werden.

Zurecht, wie die Forschung zeigt: Die Gespräche von anderen mithören zu müssen, ist der größte Störfaktor beim konzentrierten Arbeiten. Dagegen helfen keine Stellwände, Tischteiler oder Schallabsorption an der Decke: Es braucht eine raumhohe Abtrennung. Oder so genannte Sound Masking Systeme: Sie überdecken die Gespräche mit elektronischen Hintergrundgeräuschen.

Eine weitere Option sind abgetrennte Räume zum ungestörten Arbeiten sowie für Besprechungen und Telefonate. In einer Feldstudie nahmen Ablenkungen nach dem Umzug in ein Großraumbüro zwar zu, aber dieZufriedenheit litt nur in Großraumbüros, die wenig Ruheräume boten. Sofern es solche Rückzugsmöglichkeiten gab, klagten in Umfragen nur bis zu 30 Prozent der Belegschaft über störende Gespräche von anderen – ohne waren es bis zu 70 Prozent.

„Größere Büros sind nicht generell schlechter als kleine“, so lautete auch ein Fazit der genannten Schweizer Studie. Es kam auf die Passung an zwischen Raumangebot einerseits und den Bedürfnissen und Aufgaben der Beschäftigten andererseits. Bei einfachen Tätigkeiten etwa schadet es nicht, wenn sich am Nachbartisch jemand unterhält. Aber je mehr Konzentration gefordert ist, desto mehr stören Gespräche in der näheren Umgebung.

Für Großraumbüros bedeutet das zum einen: freie Platzwahl erlauben, zum Beispiel über Buchungssysteme. So kann jeder selbst für die passende Arbeitsumgebung sorgen – sofern es genug Rückzugsmöglichkeiten gibt. Zum anderen braucht jedes Großraumbüro einen Verhaltenskodex, der das Miteinander regelt. „Es geht vor allem darum, Rücksicht zu nehmen, zum Beispiel, indem man leise spricht oder Telefonate in dafür vorgesehene Bereiche verlegt“, erklärt Katrin Müller von TÜV NORD.

Beim Festlegen der Spielregeln sollten alle mitreden dürfen. Ein häufiger Fehler, sagt die Psychologin: „Angestellte auf den unteren Hierarchieebenen nicht einzubeziehen – oder nur, um sie von etwas zu überzeugen, das bereits beschlossene Sache ist.“

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