Grundsätzlich kann alles ein ästhetisches Wohlgefallen auslösen: ein Körper, eine Landschaft, ein Gemälde, sogar ein Kaffeeautomat. „Und natürlich ein Auto“, sagt Klaus Peter Kalendruschat vom medizinisch-psychologischen Institut des TÜV NORD in Dortmund. Geht es um die Schönheit der Natur oder die Attraktivität von Gesichtern, sind sich die Betrachter häufig einig. Beim Anblick von Dingen wie Autos oder Gemälden, die von Menschen geschaffen sind, hängt das Schönheitsempfinden stärker von individuellen Vorlieben ab.
Die Natur spielt aber auch im Produktdesign eine Rolle, berichtet Klaus Peter Kalendruschat. „Zum Beispiel die angeborene Reaktion auf das Kindchenschema: große Augen, Stubsnase, hohe Stirn und rundliches Gesicht.“ Das zeigten Studien, die Frontansichten von Autos am Computer so veränderten, dass sie dem Kindchenschema entsprechen. Den Versuchspersonen gefiel das – allerdings fanden sie die betreffenden Autos deshalb nicht attraktiver. „Niedlichkeit assoziieren wir mit Freundlichkeit und Schwäche. Autos sollen jedoch eher Stärke ausstrahlen“, erläutert der Psychologe. Deshalb dürfen allein die eher von Frauen bevorzugten kleinen Autos niedlich aussehen.
Die Merkmale von natürlicher Schönheit lassen sich nicht grundsätzlich auf die vom Menschen geschaffenen Artefakte übertragen. Symmetrische Gesichtszüge etwa wirken in der Regel attraktiv, weil sie mit Gesundheit verbunden werden. Doch bei Kunstwerken zieht Symmetrie nur Laien in den Bann – die Fachleute erfreuen sich mehr an asymmetrischen Kunstwerken. Allgemeine Farbvorlieben gelten im Produktdesign ebenfalls nur eingeschränkt. Blau ist die meistgenannte Lieblingsfarbe der Deutschen, aber nicht die Nummer 1 unter den Autolacken.
Nur ein Merkmal bildet offenbar eine Ausnahme: Der Mensch mag runde Formen lieber als eckige. Eine Studie an der Harvard University belegte das für mehr als 200 verschiedene Alltagsgegenstände. Hirnscans zeigten, dass beim Anblick von Ecken die so genannten Mandelkerne vermehrt feuern, die Angstzentrale des Gehirns. Womöglich missfallen uns Ecken, weil sie uns leichter gefährlich werden können.
Der Psychologe Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg bestätigte die Vorliebe für Rundungen bei Automodellen von 1950 bis 1999 – aber je nach Mode und Zeitgeist mal mehr, mal weniger. Gemeinsam mit dem Psychologen Helmut Leder von der Universität Wien untersuchte er auch das Gefallen an der Innenausstattung von Fahrzeugen. Sie machten eine erstaunliche Entdeckung: Ein Innenraum mit geschwungenen, klassischen Formen kam zwar auf den ersten Blick am besten an. Doch wenn sich Versuchspersonen eine Weile mit innovativen Designs beschäftigten, gefielen sie ihnen immer besser, und die klassischen verloren an Reiz.
Außerdem kommt es auf die Stimmung an, wie ein US-Psychologe in Experimenten beobachtete. Wer traurig war, fand bekannte Muster schöner als unbekannte. Bei guter Laune war das Ergebnis weniger eindeutig. Die Erklärung: Bekanntes ist leichter zu verarbeiten, fühlt sich vertraut und sicher an. Unbekanntes wirkt dann attraktiver, wenn man sich dieses ‚Risiko‘ leisten kann.
‚Most advanced, yet acceptable‘, so lautet ein bekanntes Designprinzip, das heißt: möglichst originell, aber die klassische Form sollte noch zu erkennen sein. Zu diesem Ergebnis kam auch ein Experiment in den Niederlanden, das Designs von Alltagsgegenständen wie Teekesseln und Telefonen testete. Aber nur bei Laien – die Fachleute urteilten wiederum nach dem Prinzip: je origineller, desto besser.
Eine universelle, zeitlose Schönheit gibt es bei Produkten also nicht. „Die Geschmäcker sind verschieden. Es kommt auf die Expertise, die individuelle Erfahrung und den Zeitgeist an“, sagt Klaus Peter Kalendruschat. Was wir als schön empfinden, bestimme außerdem nicht nur das Aussehen. „Mit der Zeit gewinnen andere Sinne an Bedeutung,“ berichtet der Psychologe von TÜV NORD. „Es geht immer mehr darum, wie sich etwas anfühlt oder anhört, wie es riecht oder schmeckt.“
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