Der Straßenverkehr bietet viel Anlass zum Ärger. Nur was nutzt uns das Schimpfen, wenn es niemand hört?
Fast alle tun es gelegentlich, rund ein Drittel der Deutschen tut es sogar häufig: Wir fluchen, wüten und wettern beim Autofahren. Nur vier Prozent schimpfen nie am Steuer vor sich hin, so das Ergebnis einer Forsa-Umfrage 2016. Das Fenster behalten die meisten dabei lieber geschlossen; offenbar wollen sie ihrem Ärger Luft machen, ohne sich weiteren Ärger einzuhandeln.
Und das ist gut so, denn Schimpf- und Fluchwörter entstammen häufig tabuisierten Themengebieten; sie sind obszön, vulgär oder bösartig. „Ein solcher Tabubruch verstößt gegen die soziale Etikette, was in den meisten gesellschaftlichen Kreisen und Situationen dem eigenen Ansehen schadet“, sagt Dr. Ralf Buchstaller von TÜV NORD. Das Verbotene berge allerdings auch einen gewissen Reiz. Der Fluchende tue auf diese Weise kund, dass er sich gerade wenig um soziale Gepflogenheiten und drohende Folgen schert, erklärt der promovierte Psychologe.
Das Auto ist ein privater Raum mitten in der Öffentlichkeit und somit einer der wenigen Orte, an dem man seinem Ärger sofort und ungefiltert Ausdruck verleihen kann, ohne damit ins soziale Abseits zu geraten. Schließlich kann in der Regel niemand die verbalen Unschicklichkeiten hören. Und kaum eine Alltagssituation bietet so viel Anlass zum Fluchen wie der Straßenverkehr.
„Um heil von einem Ort zum anderen zu kommen, sind wir permanent darauf angewiesen, dass sich alle an die Gesetze und Regeln halten“, erläutert Ralf Buchstaller. Je dichter der Verkehr, desto mehr Stress und desto wahrscheinlicher, dass jemand gegen die geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln verstößt. Sei es, weil er es nicht besser weiß oder weil er meint, die Regeln gälten nicht für ihn, aber für alle anderen.
Bestimmte Situationen sind besonders geeignet, Frust und Aggressionen auszulösen, etwa, wenn jemand den Verkehr behindert oder gefährliche Situationen herbeiführt. Ein Forscherteam um Jerry Deffenbacher von der Colorado State University ließ 1500 Versuchspersonen über mehr als 50 unangenehme Situationen im Straßenverkehr urteilen und identifizierte sechs verschiedene Arten: illegale Fahrweise, feindselige Gesten, unhöfliches Verhalten, Verkehrskontrollen, langsames Fahren sowie andere Verkehrsbehinderungen. Eine Befragung von 2500 Menschen in Großbritannien, Finnland und Niederlanden ergab, dass man sich allerorts über dieselben Dinge aufregte. Dichter Verkehr ging offenbar besonders an die Nerven.
Nur: Was hilft’s, in solchen Situationen zu fluchen und zu schimpfen – zumal, wenn uns eh niemand hören kann? „Die meisten meinen, sie könnten auf diese Weise Dampf ablassen“, sagt der Psychologe Ralf Buchstaller. „In der psychologischen Forschung spricht man von Katharsis, der emotionalen Reinigung durch Abbau von inneren Spannungen und aggressiven Impulsen.“
Doch dieser kathartische Effekt ist in der Wissenschaft höchst umstritten. In der Regel schwinden Wut und Ärger schneller, wenn man sie einfach verrauchen lässt, lautet der Tenor jüngerer Studien. Einen der Belege erbrachte der Psychologe Brad Bushman, indem er Studierende provozierte und dann die einen zum Stillsitzen verdonnerte, während die anderen auf einen Boxsack einschlagen durften. Der Ärger verflog beim Stillsitzen schneller als beim Boxen.
Dass sich das Fluchen dennoch irgendwie gut anfühlt, könnte einen anderen Grund haben. Der Psychologe Richard Stephens von der britischen Keele University stellte fest: Schmerzen lassen sich fluchend besser aushalten. In einem Experiment ließ er Versuchspersonen ihre Hände in eisiges Wasser halten. Ein Teil von ihnen sollte dabei fluchen – und hielt auf diese Weise länger durch als die Kontrollgruppe. Nicht nur die Widerstandskraft steigt. Versuchspersonen brachten an einem Handkraftmessgerät mehr Körperkraft auf, wenn sie beim Zudrücken schimpfen sollten.
Eine mögliche Erklärung ist, dass sich der Körper während aggressiver Äußerungen auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Doch die zu erwartenden Veränderungen in Herztätigkeit und Blutdruck konnte Stephens nicht nachweisen. Wahrscheinlicher ist ein psychologischer Effekt: Wer flucht, fühlt sich stärker und beflügelt damit wiederum seine physischen Kräfte.
Laut Stephens schwindet der Effekt allerdings zunehmend, je öfter wir fluchen. Das stärkende Gefühl des Tabubruchs nutzt sich offenbar ab. „Zwei Drittel der Deutschen machen es demnach richtig, indem sie nur gelegentlich im Auto schimpfen“, resümiert der promovierte Psychologe Ralf Buchstaller von TÜV NORD. „Aber bitte immer bei geschlossenen Fenstern!“
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