Warum verspüren wir Unbehagen bei automatisiert fahrenden Zügen?

5. September 2023 | Mobilität: Obwohl eine ausgefeilte Technik dahintersteckt, ängstigen sich manche. Warum, erklärt Psychologe Dr. Ralf Buchstaller.

Warum sorgen wir uns vor dem Gedanken, in einem automatisiert fahrenden Zug mit Tempo 250 durch die Landschaft zu fahren? Ein Lokführer oder eine Lokführerin mag zwar nicht an Bord sein, trotzdem fährt der Zug überwacht, in diesem Fall durch Fahrdienstleiter:innen in Stellwerken.

Doch warum haben wir Angst vor einem leeren Führerstand in einem vollbesetzten Zug? Dr. Ralf Buchstaller leitet als Psychologe das Medizinisch-Psychologische Institut bei TÜV NORD in Hamburg. Er ist davon überzeugt, dass wir Menschen Zeit brauchen, um Vertrauen zu gewinnen. Das gilt sowohl für Zwischenmenschliches als auch für Technik. Technik macht keine riesigen Entwicklungsschritte, sondern kleine. „Diese kleinen Schritte brauchen wir, damit wir merken, dass es gut und sicher funktioniert. So kann man langsam mit der neuen Technik umgehen lernen.“

Ein zweiter Aspekt ist der Gewöhnungseffekt: Je länger man etwas nutzt, desto normaler wird das im Alltag, und „man verliert die Angst, weil die Erfahrung zeigt, dass alles gut und sicher funktioniert“. Menschen, die in Nürnberg in die dortige U-Bahn steigen, werden nicht mehr darüber nachdenken, dass im Triebwagen kein Lokführer sitzt. Seit 2008 fährt sie vollautomatisiert. 

Immerhin, so der Psychologe, sollte man immer bedenken, dass der menschliche Faktor, der häufig für Unfälle und Störungen verantwortlich ist, bei einer automatisiert fahrenden Bahn nicht mitfährt. Unsicherheiten oder Ausfall von Sicherheitssystemen sind umfassend berechnet und daher nahezu ausgeschlossen.

Wer also mit sorgenvollem Blick in eine automatisiert fahrende Bahn steigt, solle sich an andere Erfahrungen mit Dingen erinnern, denen man zunächst sehr skeptisch gegenüberstand, die im Laufe der Jahre aber zur Selbstverständlichkeit geworden sind: Der Aufzug wurde eine sehr lange Zeit durch Aufzugswärter bedient, mit der Erfindung der Knopfbedienung waren alle Nutzerinnen und Nutzer selbst in der Pflicht, die Zieletage zu wählen. Heute eine Selbstverständlichkeit. Als der Sicherheitsgurt im Auto eingeführt wurde, waren die Bedenken gegen dieses Sicherheitssystem sehr groß, heute wissen alle um die lebensrettende Funktion. Das Online-Banking ist aufgrund der Verschlüsselungstechnik sicher, während vor zehn Jahren noch kein Weg am Überweisungsträger vorbeiführte, der in der Bank abgegeben werden musste, um die Überweisung ausführen zu lassen. Momentan revolutionieren Handy und Smartwatch das Bezahlen an der Supermarktkasse. „Eine gewisse Skepsis ist gesund“, so Dr. Buchstaller, „doch am Ende siegen positive Erfahrungen.“

Über die TÜV NORD GROUP

Vor über 150 Jahren gegründet, stehen wir weltweit für Sicherheit und Vertrauen. Als Wissensunternehmen haben wir die digitale Zukunft fest im Blick. Ob Ingenieurinnen, IT-Security-Experten oder Fachleute für die Mobilität der Zukunft: Wir sorgen in mehr als 100 Ländern dafür, dass unsere Kundinnen und Kunden in der vernetzten Welt noch erfolgreicher werden.