Ständig müssen wir warten: an der Kasse, an der Ampel oder an der Haltestelle. Doch während wir uns beim Bahnfahren bereits über 20 Minuten Verspätung aufregen, stellen wir uns am Flughafen zwei Stunden vor Abflug ohne Murren in die Warteschlange. Und im Restaurant ärgern wir uns manchmal sogar, wenn es schnell geht: Das gemeinsame Warten gehört zum gemütlichen Essen dazu – wir wollen es so.
Beim freiwilligen Warten scheint die Zeit schneller zu vergehen, wie ein Experiment in Kalifornien zeigte.Ein Teil der Studierenden, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Universität fahren wollten, konnten zwischen zwei Alternativen wählen: fünf Minuten auf eine kostenlose Fahrt warten oder für 75 Cent sofort losfahren. Die Zeit bis zur Abfahrt erschien jenen, die sich fürs Warten entschieden hatten, kürzer als denen, die ebenso lange unfreiwillig an der Haltestelle standen.
Ob wir uns darüber ärgern, hängt stark davon ab, wie wir die Wartezeit bewerten. „Das Unbehagen beim Warten hat viel mit unserer Kultur zu tun“, sagt Katrin Müller vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Düsseldorf. Manche Kulturen begreifen Zeit als zyklisches Phänomen ohne Anfang und Ende. „Nach unserem Verständnis geht sie jedoch unwiederbringlich vorbei“, erklärt die promovierte Psychologin. „Deshalb ist Zeit für uns ein kostbares Gut. Sie kann investiert oder gespart, verschwendet oder gestohlen werden.“
Wartezeit wird unterschiedlich wahrgenommen
An der verlorenen Zeit stört man sich weniger, wenn man meint, sie sei gut investiert.Feldstudien mit Warteschlangen in Paris belegten: Für ein attraktives Ziel wartet man gerne. Ist es dagegen nicht besonders attraktiv, wird die Zeit als länger empfunden und die Stimmung sinkt.
Um die Qualen des Wartens zu lindern, genügt es sogar schon, das Ende der Wartezeit ein bisschen weniger unangenehm zu gestalten. Ein Team um den Ökonomen und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann ließ Versuchspersonen zuerst eine Minute lang eine Hand in 14 Grad kaltes Wasser tauchen, dann für anderthalb Minuten die andere Hand, wobei nun aber nach einer Minute die Wassertemperatur auf 15 Grad stieg. Als sie danach wählen konnten, welche Prozedur sie wiederholen wollten, entschieden sich die meisten für die zweite, obwohl sie länger dauerte. Doch das erschien ihnen offenbar weniger schlimm, weil das wärmere Wasser die Schlussphase erträglicher machte. Ein gutes Ende ist auch deshalb wichtig, weil die Ungeduld um so mehr steigt, je näher das Ende rückt, egal ob im Stau oder an der Bushaltestelle, wie die Marketingprofessorin Annabelle Robertsvon der University of Texas in Austin in mehreren Experimenten beobachtete.
Aber könnte man nicht einfach die ganze Wartezeit angenehmer gestalten? Die Bank of Boston hat das bereits vor mehr als 30 Jahren in einer wissenschaftlich begleiteten Feldstudie versucht. Zwei Maßnahmen wurden abwechselnd erprobt: ein Bildschirm mit Nachrichten und eine Zeitanzeige samt geschätzter Wartedauer. Die Zeitanzeige minderte weder den Stresslevel noch steigerte sie die Zufriedenheit der Kundschaft – vermutlich, weil die angezeigte Uhrzeit die Aufmerksamkeit verstärkt auf das Warten lenkte. Das Nachrichtenboard dagegen machte die Wartezeit ein wenig angenehmer.
„Der Schlüssel liegt darin, die Aufmerksamkeit vom Warten abzulenken“, erläutert Katrin Müller von TÜV NORD. Ein berühmte Studienreihe belegte das bereits vor mehr als 50 Jahren. Der Psychologe Walter Mischel hatte Kleinkinder vor die Wahl gestellt, eine vor ihnen liegende Süßigkeit entweder gleich zu essen oder 15 Minuten zu warten und dafür eine weitere zu bekommen. Rund die Hälfte der Kinder schaffte es, der Verlockung so lange zu widerstehen. Dabei half ihnen besonders eine Strategie: sich abzulenken und anderweitig zu beschäftigen.
Alternativen während des Wartens schaffen
Bei Erwachsenen ist das nicht anders. Einige ertragen sogar lieber Schmerzen als Langeweile, wie eine Studie an der University of Virginia zu Tage förderte. Versuchspersonen sollten 15 Minuten lang in einem leeren Raum auf einem Stuhl sitzen. Ihre einzige Option: sich per Knopfdruck selbst Stromstöße zu verabreichen. Und tatsächlich taten dies zwei von drei Männern und jede vierte Frau – obwohl alle den Stromstoß bei einem Vorversuch unangenehm fanden.
Das Experiment demonstriert, wie qualvoll es sein kann, einfach nur dazusitzen und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Sich selbst deswegen Schmerzen zuzufügen, hält die Psychologin Katrin Müller allerdings für keine gute Idee. Wenn es im Wartezimmer mal wieder länger dauert und keine spannende Lektüre zur Hand ist, empfiehlt sie vielmehr, die Mitwartenden anzusprechen. Ein Gespräch mit Fremden verläuft oft netter als erwartet, berichtet die Psychologin. „Und wenn man Glück hat, ist es so nett, dass man am Ende gerne noch ein paar Minuten länger gewartet hätte.“
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