Was den Expertenblick ausmacht

26. November 2020 | Mobilität: Manche Menschen können sekundenschnell Marke und Modell eines Fahrzeugs bestimmen. Bei diesen Autosachkundigen hat die Hirnforschung etwas Erstaunliches entdeckt.

Manche Menschen können sekundenschnell Marke und Modell eines Fahrzeugs bestimmen. Bei diesen Autosachkundigen hat die Hirnforschung etwas Erstaunliches entdeckt.

Immer wieder haben Forschende nach der einen Hirnregion gesucht, die für alle Arten von Spezialwissen zuständig ist. Vergebens: „Eine solche Hirnregion gibt es nach derzeitigem Stand nicht“, sagt die promovierte Psychologin Katrin Müller von TÜV NORD. Spezialkenntnisse können sich im Gehirn auf vielerlei Weise zeigen. Auf die Aufgabe kommt es an, so lautete 2018 das Fazit einer Forschungsübersicht.

Hat ein gutes Auge für Automarken also mit jenen Hirnregionen zu tun, die für das Sehen zuständig sind? Eine Forschungsgruppe vom University College London und der Hebräischen Universität in Jerusalem wollte das prüfen. Das Team präsentierte männlichen Versuchspersonen, die in einem Hirnscanner lagen, auf einem Bildschirm je eine halbe Sekunde lang zwei Autos aus unterschiedlichen Perspektiven. Für jedes der 80 Autopaare sollten die Teilnehmer beurteilen, ob es sich um dasselbe Modell handelte.

Ergebnis: Ein gutes Auge für Modelle zeigte sich nicht etwa in Besonderheiten der Sehareale des Gehirns. Vielmehr waren bei den Autokennern jene Teile des Stirnhirns vergrößert, die Sinneseindrücke interpretieren. Das Forschungsteam schloss daraus, dass sich Spezialkenntnisse im Gehirn erst auf einer höheren Verarbeitungsebene niederschlagen.

Bereits vor rund 20 Jahren wurde bei Autosachkundigen aber noch eine weitere Besonderheit entdeckt, und zwar im ‚fusiformen Gesichtsareal‘. Diese Hirnwindung im Schläfenlappen regt sich normalerweise dann, wenn der Mensch ein Gesicht betrachtet. Doch Isabel Gauthier und ihr Team von der Yale University stellten fest, dass bei Autokennern das Gesichtsareal ebenfalls beim Anblick von Autos aktiv wurde, und das auch dann, wenn die Fahrzeuge lediglich von der Seite oder von hinten zu sehen waren. Es konnte also nicht einfach daran liegen, dass die Frontpartie eines Autos ein wenig an ein Gesicht erinnert.

„Das widerspricht der Theorie, dass das so genannte Gesichtsareal allein für die Gesichtserkennung zuständig ist“, erläutert die Psychologin Katrin Müller. Die Hirnwindung sei vielmehr darauf spezialisiert, ganz grundsätzlich zwischen ähnlichen Objekten einer Kategorie zu unterscheiden – egal, ob es sich um verschiedene Gesichter oder verschiedene Fahrzeuge handelt.

Um die Wahrnehmung für eine Kategorie von Objekten derart zu schulen, genügen Studien zufolge schon acht bis zehn Stunden Training, „dann springt die Spezialeinheit für Gesichter auch auf Autos an“ sagt Katrin Müller von TÜV NORD. Das hat eine Nebenwirkung, wie die Hirnforscherin Gauthier beobachtet hat: Menschen mit Autoexpertise brauchen überdurchschnittlich lange, um im Umfeld von Autos Gesichter zu entdecken. Die Fahrzeuge beanspruchen bei ihnen offenbar dieselben Ressourcen im Gehirn, die gewöhnlich für Gesichter reserviert sind.

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