Was hilft gegen Sekundenschlaf im Lkw?

Fahrende von Lastkraftwagen sind besonders gefährdet, am Steuer einzuschlafen. Woran man den Sekundenschlaf erkennt und wie man ihm vorbeugen kann.

Ein Zusammenstoß mit einem tonnenschweren Lastkraftwagen hat häufig dramatische Folgen. Jedes Jahr gehen mehr als 15.000 Unfälle mit Toten oder Verletzten auf das Konto von Güterkraftfahrzeugen. Eine der Unfallursachen ist Müdigkeit. Sie ist nicht nur für andere Verkehrsteilnehmende gefährlich: Mehr als 40 Prozent der schweren Lkw-Unfälle auf der Autobahn, an denen sonst niemand beteiligt ist, wird durch Müdigkeit am Steuer verursacht.

„Besonders gefährlich wird es, wenn beim Fahren die Augen zufallen“, warnt Dennis Dal Mas vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Bielefeld. Der so genannte Sekundenschlaf ist gar nicht so selten, ergab eine Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrats 2016. 46 Prozent der rund 350 befragten Lkw-Fahrenden – fast ausschließlich Männer – sind nach eigenen Angaben schon einmal während der Fahrt eingenickt, 22 Prozent sogar mehr als einmal. Auch Busfahrerinnen und Busfahrer sind davor nicht gefeit: Knapp ein Viertel von ihnen ist nach eigener Auskunft im Vorjahr mindestens einmal beim Fahren eingeschlafen, berichtete der Gewerkschaftsverband European Transport Workers Federation 2021.

„Derart übermüdet zu fahren, ist strafbar“, sagt der promovierte Psychologe Dennis Dal Mas. Wer am Steuer einschläft und damit Leib und Leben anderer Menschen gefährdet, muss mit einer Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Gefängnis rechnen. Allerdings steigen viele Menschen morgens müde ins Auto und kommen trotzdem sicher am Ziel an. Woran lässt sich also erkennen, ob die Müdigkeit übermächtig wird?

„Erste Anzeichen sind häufiges Gähnen, juckende oder brennende Augen und schwere Augenlider, oft auch eine bleierne Schwere in den Gliedern oder körperliche Unruhe“, erläutert Dennis Dal Mas. Kurz vor dem Einschlafen kommen weitere akute Warnzeichen hinzu, wie eine japanische Forschungsgruppe vergangenes Jahr berichtete. Über Kameraaufnahmen aus dem Inneren von Lkw konnte das Team 52 Unfälle auf Sekundenschlaf zurückführen. Typische Vorboten traten bis zu 60 Sekunden vor den Unfällen auf: Die Fahrenden hatten zunehmend Probleme, die Spur zu halten.

In dieser ersten Phase versuchten sie noch, den Schlafdrang zu bekämpfen, indem sie sich beispielsweise den Kopf oder die Augen rieben. In Phase zwei, zirka 40 Sekunden vor der Kollision, nahmen diese Versuche ab. Die letzte Chance, einen Unfall zu vermeiden. Denn in der dritten Phase, als sich die Fahrenden kaum oder gar nicht mehr bewegten, blieben nur noch wenige Sekunden: Dann verloren sie die Kontrolle über sich und das Fahrzeug.

Besser wäre es natürlich, bei Übermüdung gar nicht erst loszufahren. Bereits vor dem Einsteigen gibt es messbare Hinweise, dass der Schlafdruck einfach zu groß ist: Die Augen verraten es. Zum Beispiel blinzelten Schichtdienstarbeitende vor Fahrtbeginn länger, wenn sie auf der anschließenden Fahrt Anzeichen für Sekundenschlaf zeigten – was bei jeder zehnten Fahrt der Fall war.

Schichtarbeit ist einer der vielen Gründe für Müdigkeit bei Berufskraftfahrenden. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Sekundenschlaf, weil sie häufiger an Schlafstörungen leiden, warnt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Besonders müde machen nächtliche Atemstillstände, genannt »Schlafapnoe«. Berufskraftfahrende mit dieser Schlafstörung haben eine deutlich erhöhte Unfallrate.

Fachleute fordern deshalb, diese Berufsgruppe regelmäßig auf Schlafapnoe zu überprüfen – mit einem Messgerät, das die Atmung im Schlaf überwacht. Nachfragen genügt nicht, da viele Betroffene gar nicht wüssten, dass sie darunter leiden. Eine Behandlung kann die Apnoe und damit auch die Tagesschläfrigkeit mindern. Für andere Ein- und Durchschlafstörungen wird in der Regel eine kognitive Verhaltenstherapie empfohlen.

Außerdem kann bei Problemen mit dem Schlaf-wach-Rhythmus künstliches Tageslicht in der Fahrerkabine helfen – selbst bei helllichtem Tag, denn nur ein kleiner Teil des Tageslichts gelangt durch die Scheibe. Laut dem Fahrzeughersteller Mercedes-Benz wirkt das zusätzliche Licht am Steuer auf Lkw-Fahrer aktivierend.

Nur was, wenn die Müdigkeit trotz allem übermächtig wird? In der eingangs erwähnten Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrats sagten immerhin drei von vier Lkw-Fahrenden, dass sie dann eine Pause machen. Zirka jeder Zweite gab an, die Pause zu einem Nickerchen zu nutzen, und knapp jeder Dritte griff zu koffeinhaltigen Getränken. Solche Maßnahmen können tatsächlich für eine Weile helfen, anders als etwa das Fenster zu öffnen: Das wirkt nur kurz oder gar nicht.

Doch infolge von Termindruck, aber auch wegen fehlender Lkw-Stellplätze verzichten manche auf die eigentlich nötigen Pausen.Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat forderte deshalb 2022 mehr Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten im gewerblichen Kraftverkehr, aber auch mehr Ruheplätze an den Autobahnen. Darüber hinaus empfahl der Rat, auf kritischen Streckenabschnitten vermehrt so genannte Rüttelstreifen einzurichten: Straßenrandmarkierungen, die beim Überfahren ein Geräusch erzeugen. Sie können beim Verlassen der Fahrspur im letzten Moment wachrütteln.

Für ein weiteres Warnsystem hat die EU bereits gesorgt: Künftig soll Fahrzeugtechnologie anhand von Augen- und Lenkbewegungen Müdigkeit erkennen. Solche Müdigkeitswarner sind ab Sommer 2024 Pflicht für alle neuen Pkw, Lkw und Busse. „Die übrigen sollten unbedingt nachrüsten“, sagt Dennis Dal Mas von TÜV NORD. Die Technologie befreie aber niemanden von der Verantwortung, auf mögliche Warnzeichen zu achten und sich rechtzeitig selbst aus dem Verkehr zu ziehen, mahnt der Psychologe.

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