Was müde Fahrer wieder munter macht

Musik, Kaffee oder Nickerchen: Welche Mittel halten länger wach?

Rund jeder fünfte schwere Unfall, so schätzen Fachleute, wird von müden Fahrerinnen oder Fahrern verursacht. Ein Wunder, dass es nicht noch mehr sind: Laut Angaben von rund 19.000 Menschen in Deutschland und anderen europäischen Ländern fühlt sich gut jeder siebte tagsüber oft übermüdet.

Hinter Schläfrigkeit am Steuer steckt nicht zwangsläufig Schlafmangel. »Auch besonders lange, anstrengende oder langweilige Fahrten können ermüden«, erklärt Dr. Ralf Buchstaller von TÜV NORD. Je nach Ursache der Erschöpfung sind unterschiedliche Maßnahmen gefragt. »Auf einer monotonen Strecke kann laute Musik aktivierend wirken«, berichtet der promovierte Psychologe. Experimente im Fahrsimulator zeigten 2017: Bei eintöniger Umgebung sinkt die Fahrleistung schon nach 30 Minuten. Spielte man Versuchspersonen während der Fahrt bekannte Songs vor und ließ sie deren Namen erraten, so blieben sie länger wachsam.

Ganz anders auf anspruchsvollen Strecken oder bei Einparkmanövern: Dann könne Musikhören auch kontraproduktiv sein, warnt Dr. Buchstaller, »denn es beansprucht geistige Kapazitäten.« Nach einer kurzen Nacht helfe Musik ohnehin höchstens kurzzeitig gegen die Müdigkeit.

Viele Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer halten deshalb regelmäßig an Raststätten ein Schläfchen. Auch während einer Nachtschicht kann ein kurzes Nickerchen die Müdigkeit vertreiben. Das gilt ebenso für Pilotinnen und Piloten, wie die US-Navy-Psychologin Beth Hartzler berichtet. Sie stellte fest: Der strategische Einsatz von »Naps« (Deutsch: Nickerchen) sei ein wirksames Mittel, um müdes Navy-Flugpersonal wachsam und leistungsfähig zu halten.

Sich direkt nach dem Nickerchen ans Steuer zu setzen, kann wegen möglicher Schlaftrunkenheit allerdings böse enden – zumal sich die meisten Menschen ihrer Benommenheit nach dem Aufstehen nicht vollständig bewusst sind. Um dem vorzubeugen, sollte man nur ein Viertelstündchen schlummern und ein paar Schritte laufen, bevor man in den Wagen steigt.

Der »coffee nap«: erst Kaffee trinken, dann schlafen

Noch besser: ein »coffee nap«. Aber nicht in der üblichen Reihenfolge. Vielmehr wird empfohlen, sich zuerst eine ordentliche Portion Koffein einzuflößen und sich daraufhin für 15 Minuten aufs Ohr zu legen. Das Koffein kommt nach ungefähr 20 Minuten im Blut und dann auch Gehirn an. Dort besetzt es die Rezeptoren jener Nervenzellen, an denen sonst (mit zunehmender Wachzeit) von dem Signalmolekül Adenosin hängt und auf diese Weise müde macht. Während wir schlafen, befreit das Gehirn die Nervenzellen von Adenosin.

Die Kombiwirkung der Kaffeepause belegte unter anderem ein Experiment an der britischen Loughborough University. Ein Teil der Versuchspersonen sollte nach einer monotonen Fahrstunde im Simulator nachmittags 15 Minuten ruhen, und manche von ihnen bekamen zuvor Kaffee mit 150 Milligramm Koffein. Egal, ob sie hatten einschlafen können: Wer Koffein getrunken und geruht hatte, machte bei der einstündigen Weiterfahrt im Schnitt weniger Fehler als jemand nach einem Koffeintrunk, aber ohne Pause, oder nach einer Pause, aber mit entkoffeinierten Kaffee intus.

Auch Koffein allein macht müde Fahrerinnen und Fahrer – wenn auch nur kurzzeitig – wieder munter. Vor allem junge Leute bauen gehäuft Unfälle, die auf Müdigkeit zurückgehen, und das ganz besonders am Morgen. Mit 200 Milligramm Koffein im Magen (zirka zwei bis drei Tassen Kaffee) kamen sie bei morgendlichen Experimenten im Fahrsimulator jedoch seltener von der Spur ab. Wenn die Probanden zumindest fünf Stunden geschlafen hatten, hielt der Koffeinschub zwei Stunden an. Nach einer vollständig durchwachten Nacht hingegen half der Kaffee nach subjektivem Empfinden nur eine Stunde lang und gemessen an Fahrfehlern sogar nur 30 Minuten.

Bei regelmäßigem Konsum kann sich der Effekt abnutzen. Überdies weiß man in der Regel nicht, ob in einer Tasse Kaffee tatsächlich genug Koffein enthalten ist. Ein weiteres Problem: Bei manchen Menschen stört Koffein den Schlaf und trägt so selbst zu Müdigkeit bei.

Wissenschaftler suchen deshalb noch nach anderen wirksamen Muntermachern. Dazu zählen zum Beispiel kalte Luft und Rüttelstreifen, verrät Dr. Buchstaller von TÜV NORD. »Das ist nicht so angenehm wie Tasse Kaffee und Nickerchen!« Aber fährt man mit solchen harten Bandagen womöglich besser?

Lesen Sie in Teil 2: Harte Maßnahmen gegen Müdigkeit am Steuer

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