Wie Carsharing Fahrt aufnehmen kann

5. Juli 2018 | Mobilität: Viele Menschen wollen nicht auf ein eigenes Auto verzichten. Doch ein verblüffendes psychologisches Phänomen könnte das ändern.

Viele Menschen wollen nicht auf ein eigenes Auto verzichten. Doch ein verblüffendes psychologisches Phänomen könnte das ändern.

Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland sind bei Carsharing-Anbietern registriert, meldete der Bundesverband Carsharing Stand Anfang 2018. Die Zahl steigt seit Jahren, doch zuletzt etwas langsamer. Was bremst das Wachstum?

Rationale Argumente für Carsharing gibt es schließlich viele: „Geld sparen, ein verlässlicher Parkplatz um die Ecke, nach Belieben Marke und Modell wechseln“, zählt die Psychologin Cornelia Nagel von TÜV NORD auf. Und nicht zuletzt umweltfreundlicher zu leben: Laut dem niederländischen Umweltforschungsinstitut PBL in Den Haag fahren Carsharer insgesamt weniger Auto und verursachen so pro Person und Jahr 13 bis 18 Prozent weniger Kohlendioxid.

Doch vielen geht es beim Carsharing nicht primär um die Umwelt. Wie ein Team von der ETH Zürich feststellte, werden stationäre Fahrzeuge vor allem von Selbstständigen genutzt, die im Alltag flexibel sein möchten. Und auf freie Flotten greifen vermehrt junge Gutverdiener zurück, die schlecht an öffentliche Verkehrsmittel angebunden sind. Beide Gruppen zählen eher zur höheren Bildungsschicht und sind nach eigenen Angaben besonders offen für Innovationen – aber nicht übermäßig umweltfreundlich! Wie wichtig vielmehr praktische Belange sind, zeigte auch ein Team der Universität Eindhoven. Demnach steht und fällt die Entscheidung für Carsharing damit, ob ein Leihauto tatsächlich sicher verfügbar wäre.

Forscher von der Erasmus Universität Rotterdam entdeckten aber noch einen weiteren, rein psychologischen Faktor: Viele Menschen wollten deshalb nicht auf ihr Auto verzichten, weil sie schlichtweg gerne ein eigenes haben möchten. Legten Versuchspersonen gesteigerten Wert auf die eigenen vier Räder, waren sie auch wenig geneigt, Carsharing auszuprobieren, so das Ergebnis eines Experiments von Joshua Paundra und seinen Kollegen. Ob Kosten, Parkplatz oder die neuesten Modelle: Das alles fiel bei den Autoliebhabern weniger ins Gewicht. Deshalb dürfe man ihnen Carsharing nicht als Ersatz fürs eigene Gefährt anbieten, so Paundra, sondern als zusätzliche Option für den Fall, dass es mal nicht zur Verfügung stehe. »Erst einmal nur zum Ausprobieren einladen!«

Testfahrten könnten tatsächlich Türen öffnen, bestätigt Psychologin Cornelia Nagel. Dahinter verbirgt sich ein erstaunliches psychologisches Phänomen: „Wir können uns auch als Besitzer fühlen, wenn uns etwas faktisch gar nicht gehört.“ Experimente zeigen: Ob wir etwas in der Hand halten, ist manchmal wichtiger, als der rechtmäßige Eigentümer zu sein – gemessen daran, für wie viel Geld wir es wieder hergeben würden.

Verhaltensökonomen haben vielfach nachgewiesen, dass der Mensch sein Hab und Gut nicht rational bewertet. Wir schätzen den Wert von Dingen, die uns gehören, allein deswegen höher ein. In der Psychologie spricht man vom ‚Besitztumseffekt‘. Bekommen wir beispielsweise eine gänzlich unspektakuläre Tasse geschenkt, geben wir sie schon kurz darauf nicht mehr für denselben Preis her, den wir zuvor selbst noch für angemessen hielten.

„Der Effekt tritt auch dann ein, wenn uns etwas eigentlich gar nicht gehört, wir es aber als ‚zu uns gehörig‘ empfinden“, erklärt Cornelia Nagel von TÜV NORD. Am Steuer eines fremden Fahrzeugs zu sitzen, könnte deshalb einem neuen Besitzempfinden den Weg bahnen. „Es ist dann zwar nicht unser Eigentum“, sagt die Psychologin, „aber wir machen es uns emotional zu eigen.“

Über die TÜV NORD GROUP:

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