Wie kommt es beim Joggen zum »Runner’s High«?

22.Oktober 2021: Manche Menschen fühlen sich wie berauscht, wenn sie längere Zeit gelaufen sind.

Manche Menschen fühlen sich wie berauscht, wenn sie längere Zeit gelaufen sind. Dahinter stecken körpereigene Botenstoffe, die ähnlich den Wirkstoffen in Cannabis wirken: Sie können Ängste und Schmerzen lindern und Hochgefühle auslösen.

 

Es fühlt sich an, als würde man schweben, als könnte man ewig weiterlaufen, frei von Schmerzen, Sorgen und Ängsten. So beschreiben Menschen das euphorische Gefühl, das sie beim Laufen erleben. ‚Runner’s High‘ – Läuferhoch – nennen Fachleute das rauschähnliche Phänomen. Es stellt sich in der Regel nach einer halben bis Dreiviertelstunde Lauftraining ein. Wenn es denn kommt.

Denn während manche beim Joggen fast immer Hochgefühle erleben, gelingt das anderen nie. Wie viele zu den Glücklichen zählen, ist unklar. Die Zahlen schwanken je nach Studie stark, sagt der Sportpsychologe Oliver Stoll von der Universität Halle-Wittenberg. Er glaubt: „Nicht sehr viele Läufer machen solche Erfahrungen.“

Woran das liegt, ist unklar. Offenbar schütten nicht alle Menschen in gleichem Maße die dazu nötigen Botenstoffe aus, so die Vermutung. Nur welche Botenstoffe eigentlich?

„Über Jahrzehnte dachte man, dass Endorphine für die Glücksgefühle beim Joggen sorgen“, berichtet der promovierte Mediziner Lars Ormandy von TÜV NORD. Endorphine sind körpereigene Botenstoffe. Während des Ausdauertrainings steigt ihre Konzentration im Blut. Im Gehirn docken sie auf dieselbe Weise an Zellen an wie starke Schmerzmittel, so genannte Opioide.

Doch seit 2015 gibt es neben den Endorphinen weitere Kandidaten. Damals prüfte eine Forschungsgruppe um Johannes Fuß vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, ob auch andere Stoffe beteiligt sein könnten: so genannte Endocannabinoide. Diese körpereigenen Substanzen wirken im Gehirn ähnlich wie die Wirkstoffe der Cannabispflanze. „Mit der Droge Cannabis haben die endogenen Cannabinoide sonst aber nichts zu tun“, betont Lars Ormandy, „weder mit ihrem Konsum noch mit der Einnahme von Cannabis als Medikament.“ Der Körper kann sie selbst produzieren. Wie Endorphine sammeln sie sich nach einem Langstreckenlauf in erhöhter Konzentration im Blut an.

Der Mediziner Johannes Fuß und sein Team ließen Mäuse regelmäßig in einem Laufrad laufen. Danach suchten die Tiere seltener Schutz in dunklen Ecken, verhielten sich also weniger ängstlich als ihre Artgenossen ohne Training. Außerdem schienen sie weniger Schmerzen zu spüren, gemessen daran, wie oft sie sich auf einem heißen Boden die Pfoten leckten. Die verminderten Ängste und Schmerzen deuteten die Forschenden als Hinweis auf Hochgefühle.

Die Mäuse hatten dabei vermehrt ein körpereigenes Cannabinoid namens Anandamid im Blut, benannt nach dem Sanskrit-Wort ‚Ananda‘ für Glück oder Freude. Wenn die Forschenden die Andockstellen für Anadamid im Gehirn der Mäuse mit Medikamenten blockierten, zeigten sich die Tiere nach dem Laufen so ängstlich und schmerzempfindlich wie ihre Artgenossen ohne Laufrad. Wurden hingegen nur die Rezeptoren für Endorphine blockiert, profitierten sie weiterhin vom Lauftraining.

BeimMenschen ist es offenbar ähnlich, wie Fuß und sein Team kürzlich herausfanden. Ihre Versuchspersonen waren nach 45 Minuten Joggen auf dem Laufband euphorischer und weniger ängstlich, als wenn sie die Zeit auf dem Laufband gehend verbrachten, und ihr Spiegel an körpereigenen Cannabinoiden war gestiegen. Da eine Opioid-Blockade nichts an den Hochgefühlen änderte, folgerten die Forschenden, mit Endocannabinoiden sei das Runner’s High besser zu erklären.

Doch ein weiterer Botenstoff könnte ebenfalls mitmischen: das Fetthormon Leptin, das den Appetit reguliert. Experimente eines kanadischen Forschungsteams zeigten 2015, dass Leptin den Bewegungsdrang von Mäusen minderte. Fehlte es an dem Hormon, stiegen ihre Lauffreude und ihr Durchhaltevermögen. So sorge der Körper dafür, dass er bei Hunger und wenig Körperfett ausdauernd nach Nahrung suchen kann, erklärt die Forschungsgruppe.

„Wie genau welche Botenstoffe zu einem Läuferhoch führen, ist noch nicht abschließend geklärt“, fasst Lars Ormandy von TÜV NORD zusammen. Selbst über die Voraussetzungen sind Fachleute noch uneins: Die einen sagen, es brauche 45 Minuten Lauftraining, bis sich die körpereigenen Cannabinoide im Körper anreichern. Die anderen halten schon 20 bis 30 Minuten für genug.

Um das Läuferhoch im Labor herbeizuführen, lassen Forschende ihre Versuchspersonen zum Beispiel 50 Minuten bei 70 bis 80 Prozent ihres maximalen Pulses laufen. „Wer nicht gerne joggt, kann es auch auf dem Rad oder mit einem Rudergerät versuchen“, sagt Lars Ormandy vom Medizinisch-Psychologischen Institut in Göttingen. Er empfiehlt, langsam zu starten, dann die Intensität steigern und schließlich wieder etwas nachlassen: „Wenn die Belastung sinkt, steigen die Chancen auf das Hochgefühl.“

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