Nicht einmal ein Zehntel der Erwerbstätigen fährt mit dem Rad zur Arbeit, meldete das Statistische Bundesamt 2017. Noch weniger gehen zu Fuß. Ein weiteres Zehntel wohnt zwar höchstens fünf Kilometer vom Arbeitsplatz entfernt, steigt aber trotzdem lieber ins Auto oder nutzt öffentliche Verkehrsmittel. »Dabei hätte Radfahren oder Laufen gerade im beruflichen Alltag viele Vorteile«, sagt der Diplompsychologe Ralf Buchstaller von TÜV NORD.
Wie eine Studie in Kanada vergangenes Jahr zeigte, verspäteten sich Studierende und Angestellte mit dem Auto rund 11 Mal öfter als mit dem Rad. Und je mehr sie meinten, im Straßenverkehr viel Zeit zu vergeuden – was vor allem fürs Autofahren galt –, desto kraftloser fühlten sie sich bei der Ankunft am Arbeitsplatz oder Studienort. Zwar gab es bei jedem Transportmittel typische Stressoren, die negativ zu Buche schlugen: Staus, Wartezeiten oder gefährliche Wegstrecken. Doch unterm Strich fühlten sich unter den 5500 Befragten die Radelnden bei der Ankunft am energiegeladensten.
»Körperliche Aktivität steigert Wachheit und Wohlbefinden«, erklärt Dr. Buchstaller von TÜV NORD. Natürlich würden sich aktivere Menschen schon von vornherein eher aufs Rad schwingen. Aber auch andere Studien in den USA bestätigten kürzlich: Wer die Strecke zur Arbeit mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegt, fühlt sich im Alltag am wenigsten gestresst.
»Radfahren und Laufen machen besonders dann zufrieden, wenn der Weg angenehm ist«, führt der Psychologe weiter aus. Je nach Situation, etwa bei schwierigen Wetterverhältnissen oder auf vielbefahrenen Straßen, sei das Rad allerdings keine gute Wahl. Auch sonst gelte es natürlich, stets wachsam zu sein und mit unaufmerksamen Verkehrsteilnehmern zu rechnen, denn zu Fuß und auf dem Rad gibt es keine Knautschzone.
Nicht zuletzt könnte schlechte Luft die Bewegung vermiesen. Um die Schadstoffbelastung für verschiedene Verkehrswege zu vergleichen, ließ ein Team von der Colorado State University Erwerbstätige in ihrer Stadt an vier Tagen mit dem Auto und an vier Tagen mit dem Rad zur Arbeit fahren – mal jeweils dieselbe Route, mal eine Alternativstrecke. Sie wurden mit Messgeräten ausgestattet und erfassten so während der Fahrt die Konzentrationen von Ruß, Kohlenmonoxid, Feinstaub und ultrafeinen Partikeln.
Im Mittel verzeichneten die Geräte für alle Schadstoffe außer Kohlenmonoxid auf dem Rad höhere Konzentrationen als im Auto. Jenseits vielbefahrener Straßen sah es allerdings anders aus. So zeigte eine Studie am Londoner Imperial College für verschiedene europäische Städte, dass man sich auf Fußwegen in der schadstoffärmsten Umgebung bewegt und dass Autorouten im Schnitt am meisten belastet waren. Forscher im kalifornischen Sacramento errechneten 2017, dass sich die Belastung für Radfahrende um bis zu 75 Prozent senken ließe, wenn sie gekennzeichnete Radwege nutzen und dafür Umwege in Kauf nehmen würden.
»Zwar können wir die großen Straßen häufig nicht umgehen«, sagt Dr. Buchstaller. »Trotzdem leben wir zu Fuß oder auf dem Rad unterm Strich meist gesünder, wie Untersuchungen zeigen.« Ob Luftverschmutzung die gesundheitlichen Vorteile von aktiver Fortbewegung zunichte macht, hat unter anderem ein Team um Epidemiologen von der britischen University of Cambridge überprüft. Die Nachteile überwogen demnach erst nach anderthalb Stunden Radfahren oder nach zehn Stunden Fußweg, und das auch nur bei einer Feinstaubkonzentration weit über den Grenzwerten.
Zu einem ähnlichen Schluss gelangte 2017 eine Übersichtsarbeit im renommierten Medizinfachblatt »The Lancet«: Obwohl Radlerinnen und Radler mehr Schadstoffe inhalierten, hätten sie dank der regelmäßigen Bewegung im Vergleich zu Autofahrern und -fahrerinnen eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung. »Sinnvoller kann man die Strecke zur Arbeit kaum nutzen«, resümiert Dr. Ralf Buchstaller vom TÜV NORD. »Wer sich aus eigener Kraft fortbewegt, ist klar im Vorteil.«