Die Tage werden kürzer, das Leben verlagert sich wieder nach drinnen. Im Herbst und Winter ist Bewegung an der frischen Luft deshalb besonders wertvoll. Die Medizinerin Petra Jürgens von TÜV NORD rät zu einem regelmäßigen Spaziergang: „Das beugt Depressionen und Gedächtnisabbau vor.“
„Gehen ist des Menschen beste Medizin“, soll der griechische Arzt Hippokrates in der Antike gesagt haben. Die alte Weisheit ist aktueller denn je. Laut EU-weiten Umfragen verbringen immer mehr Menschen zu viel Zeit im Sitzen: in Schule und Studium, am Arbeitsplatz oder auf dem Sofa. Bereits ab viereinhalb Stunden täglichem Sitzen steigt das Risiko von Herzkreislauferkrankungen.
Doch ein einfacher Spaziergang kann helfen, sagt die promovierte Medizinerin Petra Jürgens vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Hamburg. Das zeigten Studiendaten von mehr als 1800 Männern und Frauen mit chronischen Erkrankungen, von denen sich ein Teil regelmäßig zum Spazieren getroffen hatte. Das Laufen kam nicht nur dem Blutdruck, Cholesterinspiegel und Körperfett zugute. Es senkte ebenso das Risiko von Depressionen.
Letzteres bestätigte auch eine Langzeitstudie mit 34.000 Erwachsenen, die zum Untersuchungsbeginn körperlich und psychisch gesund waren. Im Verlauf von elf Jahren entwickelten knapp 1600 von ihnen eine Depression. Den Analysen zufolge wären 12 Prozent weniger erkrankt, wenn alle zumindest eine Stunde pro Woche körperlich aktiv gewesen wären – egal wie intensiv.
Es genügt sogar schon, eine Runde auf einem Uni-Campus oder in einem Uni-Gebäude zu laufen, wie Forschende an der Iowa State University beobachteten. Nach einer zwölfminütigen Tour fühlten sich Studierende im Schnitt heiterer und tatkräftiger als jene, die ebenso lange im Sitzen dieselben Orte auf Fotos oder Videos betrachtet hatten.
Die antidepressive Wirkung beruht wahrscheinlich darauf, dass Bewegung einen so genannten Wachstumsfaktor im Blut anreichert. „Der Wachstumsfaktor ist ein Protein, das die Neubildung von Nervenzellen fördert“, erklärt die Medizinerin Petra Jürgens.
Eine US-Studie hat den Effekt im Gehirn nachgewiesen. Ältere Erwachsene gingen zunächst dreimal pro Woche 10 Minuten spazieren; im zweiten Monat steigerten sie sich auf 40 Minuten. Die Konzentration des Wachstumsfaktors im Blut stieg, ebenso wie das Volumen von einem Teil des Hippocampus, der Gedächtniszentrale des Gehirns. Bei einer Kontrollgruppe ohne Laufprogramm schrumpfte es hingegen.
Es gebe eine wachsende Zahl von Belegen, dass Spaziergänge der Psyche guttun, schlossen Forschende um Paul Kelly von der University of Edinburgh nach Durchsicht von rund 50 Studien. Am besten nachgewiesen sei die antidepressive Wirkung. Außerdem schienen ‚Setting und Kontext des Gehens‘ wichtig zu sein.
Ein Spaziergang an einen beeindruckenden Ort, zum Beispiel mit einer schönen Aussicht, bessert die Gefühlslage offenbar besonders. Für eine Studie aus dem vergangenen Jahr sollten ältere Versuchspersonen acht Wochen lang wöchentlich einmal eine Viertelstunde spazieren gehen. Die Hälfte sollte dabei gezielt Orte aufsuchen, die Staunen oder Ehrfurcht weckten.
Nach eigener Auskunft fühlte sich diese Gruppe nach dem Laufen froher als Spazierende ohne eine solche Instruktion. Auf Fotos, die sie dabei von sich selbst machen sollten, lächelten sie mehr, und sie berichteten im Alltag über weniger Stress und mehr Wohlwollen gegenüber anderen Menschen. Die Forschenden glauben, Ehrfurcht lenke die Aufmerksamkeit weg von der eigenen Person und fördere ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt.
„Jede Art von Herumlaufen hilft“, sagt Petra Jürgens von TÜV NORD, „und sei es nur der Gang ins Nachbarbüro.“ Gerade nach einem stressigen Tag empfiehlt die Medizinerin aber einen Spaziergang an einen schönen Ort, „um auf andere Gedanken zu kommen“.