Wann Pendeln unglücklich macht

Je mehr Zeit der Weg zur Arbeit kostet, desto weniger bleibt für andere Dinge übrig. Das belastet nicht nur die Pendlerinnen und Pendler selbst. Manchmal leidet auch die Familie mit, berichtet der Psychologe Dennis Dal Mas von TÜV NORD.

In Zeiten von Corona freuten sich viele Angestellte über den kurzen Weg ins Homeoffice. Ein paar Meter laufen, schon ist der Arbeitsplatz erreicht! Das spart Zeit – im Durchschnitt eine Dreiviertelstunde am Tag. Denn so lange brauchen die Deutschen laut dem „Sozio-oekonomischen Panel“, einer repräsentativen deutschen Langzeiterhebung, um zur Arbeit hin- und zurückzukommen. Jeder Vierte ist sogar eine Stunde oder länger unterwegs, hat das Statistische Bundesamt ermittelt.

Wie belastend das Pendeln ist, hängt nicht nur von der beanspruchten Zeit ab. „Die Art der Fortbewegung macht einen Unterschied“, sagt der promovierte Psychologe Dennis Dal Mas vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Bielefeld. Dem Statistischen Bundesamt zufolge fahren zwei von drei Berufstätigen mit dem Auto. Doch wer mit dem Rad, zu Fuß oder mit der Bahn pendelt, ist zufriedener, hat eine kanadische Forschungsgruppe festgestellt. 

Das Wohlbefinden steigt vor allem dann, wenn der Weg zur Arbeit durchs Grüne oder am Wasser entlangführt, wie eine Befragung von knapp 3600 Berufstätigen unter anderem in England und den Niederlanden zeigte. Besonders gut ging es ihnen, wenn sie zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs waren. „Die Bewegung in der Natur baut Stress ab und hebt die Stimmung“, erklärt der Psychologe Dennis Dal Mas. 

Auch der Blutdruck kann steigen

Aber auch Sport in der Freizeit kann den Pendelstress ausgleichen. Kurze Wege zur Arbeit tragen dazu bei, hat die kanadische Gesundheitsforscherin Margo Hilbrecht beobachtet. „Pendelnde Berufstätige, denen genug Zeit für Bewegung bleibt, sind zufriedener.“

Mehr Stress, wenig Zeit für Sport – das treibt auch den Blutdruck in die Höhe. Eine Studie mit mehr als 4000 Berufstätigen in Texas ergab: Schon ab einer Wegstrecke von 10 Meilen (zirka 16 Kilometer) steigt der Blutdruck. Wer mehr als 15 Meilen zur Arbeit fuhr, war überdies eher übergewichtig. 

Fastfood-Restaurants an der Route können dazu beitragen. „Sie bieten die Möglichkeit, schnell, günstig und ungesund zu essen“, erklärt Adriana Dornelles von der Arizona State University in Texas. Die Ökonomin untersuchte Pendelstrecken von mehr als 700 Angestellten von Grundschulen. Ergebnis: Je mehr Fastfood-Angebote es im näheren Umkreis gab, desto höher der Body Mass Index (BMI), ein Maß für Übergewicht. 

Höheres Trennungsrisiko in Familien

Das Pendeln hinterlässt aber nicht nur bei den Betroffenen selbst Spuren. „Auch ihre Familien leiden mit“, berichtet Dennis Dal Mas von TÜV NORD. Daten von mehr als zwei Millionen Schweden zeigten: Berufstätige, die lange Strecken auf sich nahmen, profitierten davon zwar beruflich und finanziell. Dafür traten allerdings ihre Partnerinnen (seltener: Partner) beruflich kürzer und übernahmen mehr Verantwortung für Haushalt und Kinder. Das Risiko für eine Trennung lag bei diesen Paaren um 40 Prozent höher als bei jenen mit kurzen Arbeitswegen. 

Der Nachwuchs wird ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen – bereits vor der Geburt. Einer US-Statistik zufolge steigt mit zunehmender Pendelstrecke das Risiko von Schwangeren, ein Kind mit einem Geburtsgewicht unter 2500 Gramm zur Welt zu bringen. Offenbar verzögert der Stress das Wachstum im Mutterbauch. 

Und auch später noch leiden Kinder unter langen Arbeitswegen ihrer Eltern. Laut dem Sozio-oekonomischen Panel hängt das Wohlbefinden von Fünf- bis Sechsjährigen mit der täglichen Pendelzeit ihrer Väter zusammen, unabhängig davon, welches Bildungsniveau und welchen finanziellen Hintergrund die Eltern haben. Wohnten die Väter mindestens 40 Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt, verhielten sich die Kinder weniger sozial als bei kürzerer Pendelstrecke, und bei mehr als 60 Kilometern hatten sie eher Konflikte mit Gleichaltrigen. Noch dazu entwickelten sie mehr emotionale Probleme, wenn der Vater nur am Wochenende nach Hause kam.

Pendelzeit sinnvoll nutzen

„Wer viel Zeit mit Pendeln verbringt, sollte also auf mögliche Folgen achten – auch für andere“, sagt Dennis Dal Mas von TÜV NORD. Der Psychologe empfiehlt, die Pendelzeit möglichst sinnvoll zu nutzen, zum Beispiel einen Teil der Strecke mit dem Rad zu fahren. Einen Teil der Arbeit ins Homeoffice zu verlegen, könne ebenfalls entlasten. „Wenn das nicht möglich ist und das Pendeln viel Zeit und Nerven kostet, dann sollte man langfristig über einen Umzug oder einen Stellenwechsel nachdenken.“

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