Wie läuft das psychologische Gespräch bei TÜV NORD?

Wer die Fahrerlaubnis verloren hat und zurück zum Führerschein will, braucht die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU).

Wenn Dorothea Winter morgens mit der Arbeit beginnt, sitzt die erste Kundschaft in der Regel schon nervös im Wartezimmer. „Viele kommen eine Viertelstunde zu früh", berichtet die psychologische Gutachterin. Sie leitet das Medizinisch-Psychologische Institut (MPI) von TÜV NORD in Mühldorf, Deggendorf und Freising. Den meisten ihrer Kundinnen und Kunden wurde die Fahrerlaubnis entzogen und der Führerschein abgenommen. Wollen sie ihn wiederhaben, müssen sie zur medizinisch-psychologischen Untersuchung, kurz MPU, um ihre körperliche und psychische Fahreignung nachzuweisen.

Vor der Untersuchung studiert Dorothea Winter die Akte. Ein klassischer Fall für die MPU sind acht Punkte im Fahreignungsregister in Flensburg. Punkte gibt es zum Beispiel wegen Fahrerflucht, Geschwindigkeitsübertretung oder für das Überfahren einer roten Ampel. Bei rund jeder dritten MPU geht es um Trunkenheit am Steuer und fast ebenso so oft sind illegale Drogen im Spiel. Wer zum Beispiel mit 1,6 Promille Alkohol Auto gefahren ist, muss in der Regel zur MPU – nach einer Sperrfrist von mindestens sechs Monaten. Die Fahrerlaubnisbehörde kann aber schon bei einer geringeren Blutalkoholkonzentration die MPU anordnen, etwa bei wiederholter Trunkenheit am Steuer.

Der Blutalkoholspiegel lässt Rückschlüsse zu. „1,6 Promille – das bedeutet in der Regel acht Halbliter-Flaschen Bier", sagt Ralf Buchstaller, der das MPI in Hamburg leitet. Aus dem Alkoholpegel und dem Fahrverhalten könne man außerdem auf den gewohnheitsmäßigen Konsum schließen, erklärt der promovierte Psychologe. „Wenn jemand beispielsweise mit 1,6 Promille noch kilometerweit unfallfrei gefahren ist, muss er ziemlich viel gewöhnt sein." Wer da noch behauptet, nur drei oder vier Bier getrunken zu haben, wolle sein Verhalten verharmlosen. Und wer das Problem leugnet, sehe auch keinen Grund, etwas zu verändern.

Wenn eine Kundin oder ein Kunde gewohnheitsmäßig übermäßig Alkohol trinkt, reicht es nicht, wenn sie oder er verspricht, nie wieder betrunken Auto zu fahren. „Das Risiko ist groß, dass sie die guten Vorsätze über Bord werfen, sobald sie betrunken sind", erläutert Ralf Buchstaller. „Das Ziel muss vielmehr sein, keine acht Bier mehr zu trinken." Und es muss nachvollziehbar sein, warum das künftig gelingen soll.

Auf diese Weise setzen die psychologischen Gutachterinnen und Gutachter ein Bild zusammen und diskutieren mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Medizin, wie ein Fall einzuschätzen ist. Sie berücksichtigen dabei unter anderem Laborbefunde und die Ergebnisse von Leistungstests – sowie ihre Befunde aus einem rund 45-minütigen Gespräch. Wird darin nachvollziehbar, dass sich die Person mit ihrem Verhalten auseinandergesetzt hat, dass sie es verändern will und kann? Das sind für die mehr als 100 Gutachterinnen und Gutachter von TÜV NORD die entscheidenden Fragen.

Auf dieser Basis nehmen sie Stellung zu den Fragen der Führerscheinstelle, zum Beispiel: Ist zu erwarten, dass Frau oder Herr Mustermann auch zukünftig wiederholt oder erheblich im Straßenverkehr auffallen wird? Wir prüfen, ob die aus der Vorgeschichte resultierenden Bedenken ausgeräumt werden können«, sagt Ralf Buchstaller. Die Führerscheinstelle entscheidet daraufhin über die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis."

Die Kriterien, die für eine positive Prognose zu erfüllen sind, sind ebenso wenig geheim wie die Fragen, die bei der MPU gestellt werden. Dennoch fallen vier von zehn Prüflingen beim ersten Versuch durch. „Oft liegt es an der fehlenden Bereitschaft, ein Problem als solches zu erkennen", berichtet Ralf Buchstaller. „Eine typische Abwehrreaktion lautet: Die können das nach 45 Minuten doch gar nicht beurteilen!" Aber es gebe auch positive Rückmeldungen. „Manche erzählen, die MPU habe ihnen den ersten Anstoß gegeben, mit dem Trinken aufzuhören."

„Bei Wiederholungstaten liegt die Hürde höher als nach dem ersten Regelverstoß. Doch auch dann sollen die Menschen noch eine Chance bekommen“, sagt Ralf Buchstaller. Er habe schon positive Überraschungen erlebt. Als ihm ein Mann zum wiederholten Mal wegen Alkohol am Steuer gegenübersaß, war er zunächst skeptisch. Aber diesmal war er grundlegend verändert: Er hatte einen festen Job, ein Haus gebaut und das Sorgerecht für sein Kind übernommen. „Man darf nicht voreilig urteilen", mahnt Buchstaller. „Wir müssen mit unserer Verantwortung sensibel umgehen."

Dorothea Winter stimmt ihm zu: Sich moralisch überlegen zu fühlen, sei in dem Beruf fehl am Platz. Oft säßen ihr ältere Herrschaften gegenüber, die mit Alkohol am Steuer aufgefallen sind. „Am Ende des Gesprächs sagen manche, sie hätten das Gefühl gehabt, dass ich ihnen zugehört habe." So soll es sein, sagt die Gutachterin. „Jeder muss die Chance bekommen, seine Geschichte zu erzählen."

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