Wasserstoff ist einer der größten Hoffnungsträger der Energiewende und zählt zu den saubersten Energiequellen der Welt, allerdings nur, wenn der gesamte Lebenszyklus von Produktion bis Transport umweltschonend abläuft. Die TÜV NORD GROUP beschäftigt sich seit rund einer Dekade mit dem Thema und treibt aktuell den Aufbau einer nachhaltigen und sicheren Infrastruktur für Wasserstoff voran. Welchen Beitrag die TÜV NORD GROUP auf dem Wasserstoffmarkt leistet und welche Projekte das Unternehmen durchführt, erklären im Interview Silvio Konrad, Geschäftsführer TÜV NORD Systems, und Dr. Carsten Gelhard, Leiter HydroHub.
Der Hamburger Hafen will sich zum wichtigen Knotenpunkt für den Wasserstoffimport entwickeln. Die TÜV NORD GROUP unterstützt die Stadt Hamburg bei diesem Vorhaben.
Herr Konrad und Herr Dr. Gelhard, welchen Nutzen sehen Sie im Energieträger Wasserstoff?
SILVIO KONRAD Wir in der TÜV NORD GROUP sind der Meinung, dass Wasserstoff eine Revolution in der Energiebranche und in der Industrie ermöglichen und einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Der große Wert von Wasserstoff: Er ist vielseitig einsetzbar und erlaubt damit eine Sektorenkopplung zwischen Energie, Mobilität, Landwirtschaft und anderen Bereichen.
DR. CARSTEN GELHARD Für den Erfolg der Energiewende brauchen wir Alternativen zu fossilen Brennstoffen, und hier wird Wasserstoff eine Schlüsselrolle einnehmen. Der Vorteil von Wasserstoff: Seine Eigenschaften erlauben eine hohe Flexibilität in der Energieversorgung. Elektrolyseure, die zur Herstellung von Wasserstoff eingesetzt werden, können zum Beispiel überschüssige Energiemengen aufnehmen und bei Bedarf in das Stromnetz einspeisen. Mit diesem integrierten Energiesystem kann die Wasserstoffwirtschaft einen signifikanten Beitrag zur Versorgungssicherheit in der kompletten Energielandschaft leisten.
Die TÜV NORD GROUP hat die Arbeit im Bereich Wasserstoff in den vergangenen Jahren intensiviert. Was ist der Grund dafür?
SK Wasserstoff ist für uns kein neues Thema. Wir haben schon vor zehn Jahren Wasserstofftankstellen am Hamburger Hafen in Betrieb genommen. Unsere Arbeit haben wir auf diesem Gebiet aber intensiviert, weil in Politik und Wirtschaft ein Umdenken pro Wasserstofftechnologie stattgefunden hat. Unsere Kunden fragen jetzt vermehrt Dienstleistungen in diesem Bereich an, wie etwa der Kupferproduzent Aurubis, der seine Anodenproduktion von Erdgas auf Wasserstoff umstellt. Für Aurubis haben wir eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen und die Inbetriebnahme dieses Pilotprojekts sicherheitstechnisch begleitet. Die steigende Marktnachfrage erfordert, dass wir unser Wissen erweitern, aber auch bestehende Dienstleistungen anpassen und neue entwickeln.
CG Die TÜV NORD GROUP hat das klare Ziel, die Energiewende voranzutreiben und ihre Kundinnen und Kunden sowie die Gesellschaft sicher in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Wir wollen mit unserem Sachverstand den Aufbau einer Infrastruktur für Wasserstoff erfolgreich mitgestalten. Um das leisten zu können, haben wir uns geschäftsübergreifend neu ausgerichtet. Das beste Beispiel ist die Gründung des HydroHub, einer Initiative von mehreren Unternehmen aus der TÜV NORD GROUP. Mit dieser Marke bündeln wir unsere Kompetenzen aus den Bereichen Beratung, Training und Engineering und bieten diese Dienstleistungen auf dem Wasserstoffmarkt an.
»Wir wollen mit unserem Sachverstand den Aufbau einer Infrastruktur für Wasserstoff erfolgreich mitgestalten.«
Vor welchen Herausforderungen steht die Wasserstoffwirtschaft gerade?
CK Die größte Herausforderung ist, dass wir uns aktuell in der Markthochlaufphase befinden. Deshalb gibt es noch viele offene Punkte, wie etwa die Frage, wie das Gasnetz auf Wasserstoff umgestellt werden kann. Wir helfen unseren Kunden bei dem Transformationsprozess in allen Phasen von strategischer Planung, Konzeption bis hin zur Umsetzung der benötigten Anlagen. Unsere Expertinnen und Experten führen in der Anfangsphase zum Beispiel Marktanalysen durch, formulieren Standortstrategien und entwickeln Konzepte für eine nachhaltige Lieferkette. Als weitere Herausforderung sehen wir die großen Mengen Strom aus erneuerbaren Energien, die für die umweltschonende Produktion von Wasserstoff benötigt werden. Deshalb fokussiert sich der HydroHub in der TÜV NORD GROUP aktuell auf die Unterstützung im Aufbau einer Infrastruktur für Wasserstoff. Denn sobald die Infrastruktur von Erzeugung bis Anwendung steht, wird sich Wasserstoff rasend schnell weiterentwickeln.
SK Aktuell wird Wasserstoff noch spärlich eingesetzt, weil es seitens der Politik noch keinen regulatorischen Rahmen gibt, der für verlässliche Investitionen in Milliardenhöhe nötig ist. Auch hier helfen wir innerhalb von lokalen und internationalen Netzwerken, die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Wasserstoffwirtschaft festzulegen. Wir sind beispielsweise Mitglied im Cluster erneuerbare Energien Hamburg und dem Wasserstoff-Beirat in Essen, aber auch im Weltenergierat und Hydrogen Europe. Dort führen wir Projekte mit unserem langjährigen Wissen zum Erfolg.
Bleiben wir bei diesem Thema: Welche Projekte treibt die TÜV NORD GROUP konkret voran?
SK Im Projekt »WindH₂« arbeiten wir in Salzgitter mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen am Aufbau eines integrierten Energiesystems. Für den regionalen Energieversorger Avacon haben wir die Errichtung eines Windparks begleitet, dessen grüner Strom für den Antrieb eines Elektrolyseurs von Siemens Energy genutzt wird. Der Elektrolyseur wiederum produziert grünen Wasserstoff, der von der Firma Linde, ein Experte für Prozessgase, zum Stahlkonzern Salzgitter transportiert wird. Dort wird der Wasserstoff als kohlenstoffarme Energiequelle zur Produktion von Stahl genutzt. Jeden dieser Schritte haben wir sicherheitstechnisch begleitet. »WindH₂« beweist eindrucksvoll, wie effektiv die Sektorenkopplung von Wasserstoff sein kann.
CG Die Hafenstadt Hamburg will sich in den kommenden Jahren als nationales und internationales Drehkreuz für den Wasserstoffimport etablieren. Ein solcher Standort ist besonders für ein Industrieland wie Deutschland, das den Großteil seiner Energie importieren muss, von entscheidender Bedeutung. Wir haben für die Hansestadt die technologischen Möglichkeiten für verschiedene Trägermaterialien von Wasserstoff bewertet, Vor- und Nachteile aus ökologischer, ökonomischer sowie sicherheitsrelevanter Sicht transparent kommuniziert und somit zur Diskussion um die benötigte Wasserstoffinfrastruktur beigetragen. Wie man sieht, ist die Wasserstoffinfrastruktur eines der zentralen Themen. Als Generalplaner unterstützen die Expertinnen und Experten aus der TÜV NORD GROUP in einem anderen Projekt den Kunden terranets bw beim Neubau eines rund 100 Kilometer langen Abschnitts der Süddeutschen Erdgasleitung, die zukünftig Wasserstoff transportieren soll. Mit unserem Knowhow leisten wir somit einen wesentlichen Beitrag für die Versorgungssicherheit.
Wenn die sichere und nachhaltige Infrastruktur von der Herstellung über den Transport bis hin zur Anwendung steht, ist Wasserstoff nicht mehr aufzuhalten.
Welche Ziele hat TÜV NORD beim Thema Wasserstoff bereits erreicht?
SK Für das Jahr 2021 haben wir unsere anspruchsvollen Ziele erreicht und zum Teil sogar übertroffen. So haben wir beispielsweise Innovationen vorangetrieben, ohne das gesamte Budget aufzubrauchen. Außerdem haben wir im ersten Jahr bereits Umsätze über Projekte generiert und zeigen damit, dass Wasserstoffprojekte jetzt schon profitabel sein können. Unser Vorreiterstatus in der Energiewende ist eine große Motivation für unsere Mitarbeitenden.
CG Wir wollen uns mit unseren Dienstleistungen als ein wesentlicher Player rund um die Themen Sicherheit, Nachhaltigkeit und Zuverlässigkeit in der Wasserstoffwirtschaft positionieren. Aus meiner Sicht haben wir dafür im Jahr 2021 bereits zwei große Meilensteine erreicht. Zum einen sind wir dank der engen Zusammenarbeit der verschiedenen Geschäftsbereiche intern stärker zusammengewachsen. Zum anderen hat das breit aufgestellte Expertenwissen in unseren verschiedenen Bereichen und Gesellschaften dabei geholfen, die TÜV NORD GROUP neben dem klassischen Prüfgeschäft unter der Marke HydroHub auch als führenden Dienstleister in der Wasserstoffwirtschaft weiter zu etablieren.
Was steht in Zukunft in der TÜV NORD GROUP ganz oben auf der Wasserstoff-Agenda?
CG Ein zentrales Thema ist die Entwicklung eines einheitlichen Klassifizierungssystems mit transparenten Merkmalen für nachhaltigen Wasserstoff. Wasserstoff ist zwar ein emissionssparender Energieträger, doch in puncto Nachhaltigkeit müssen wir die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung über den Transport bis hin zur Anwendung betrachten. Gleichzeitig sind bei der Bewertung von nachhaltigem Wasserstoff neben ökologischen Faktoren auch ökonomische und soziale Kriterien zu berücksichtigen.
SK Darüber hinaus wollen wir weitere Technologiebereiche in die Wasserstoffwirtschaft integrieren. Zum Beispiel stellt sich bei Offshore-Windparks die Frage, ob sie als integriertes System grünen Wasserstoff produzieren können. Das sind Themen, die uns in Zukunft beschäftigen und die wir mit unserem Expertenwissen für den Aufbau einer sicheren und nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur vorantreiben werden.
»Wir sind der Meinung, dass Wasserstoff eine Revolution in der Energiebranche und Industrie ermöglichen kann.«